Die professionelle Kompetenz von Lehrpersonen ist in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus der deutschdidaktischen Forschung gerückt. Das Forschungsinteresse richtet sich dabei nicht nur auf ihr professionelles Wissen und Können (knowledge), sondern zunehmend auch auf die Überzeugungen (beliefs), die ihrem Unterrichtshandeln im Fach Deutsch zugrunde liegen. Angenommen wird, dass Überzeugungen im Schulalltag die Wahrnehmung und Interpretation der (Unterrichts‑)Wirklichkeit durch die Lehrpersonen maßgeblich beeinflussen und sich vermittelt über die Unterrichtsgestaltung auch auf das Lernen der Schüler/innen auswirken können (vgl. für den mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht z. B. Staub und Stern 2002; Hartinger et al. 2006; Voss et al. 2011).

Vor diesem Hintergrund gehen wir im Rahmen der ländervergleichenden Videostudie „Professionelle Kompetenzen und Unterrichtshandeln von Primarlehrpersonen im Lernbereich Rechtschreibung“ (kurz: Profess-R) u. a. der Frage nach, welche Überzeugungen Primarlehrpersonen in Deutschland (Sachsen) und der Schweiz über Orthografie und Orthografieerwerb haben und in welchem Zusammenhang diese zur Gestaltung und Qualität des videografierten Rechtschreibunterrichts stehen. Der vorliegende Beitrag beschränkt sich auf die Darstellung der Anlage und der Ergebnisse der Lehrerbefragung, mit der Überzeugungen zu Orthografie und Orthografieerwerb erfasst wurden.

1 Zum Konstrukt „Überzeugungen von Lehrpersonen“

Überzeugungen von Lehrpersonen gelten als Teil professioneller Handlungskompetenz und lassen sich als „affektiv aufgeladene, eine Bewertungskomponente beinhaltende Vorstellungen über das Wesen und die Natur von Lehr-Lernprozessen, Lerninhalten, die Identität und Rolle von Lernenden und Lehrenden (sich selbst) sowie den institutionellen und gesellschaftlichen Kontext von Bildung und Erziehung“ (Reusser und Pauli 2014, S. 642) beschreiben. Sie werden in Abgrenzung zu Wissensbeständen subjektiv (oder kollektiv) für wahr gehalten und genügen dabei „weder den Kriterien der Widerspruchsfreiheit noch den Anforderungen der argumentativen Rechtfertigung und der diskursiven Validierung“ (Baumert und Kunter 2006, S. 497). Wissen und Überzeugungen haben folglich einen „unterschiedlichen epistemologischen Status“ (ebd., S. 496), der in der Literatur immer wieder diskutiert und keineswegs einheitlich gefasst wird (vgl. im Überblick die Handbuchartikel von Woolfolk Hoy et al. 2006; oder Fives und Buehl 2012).

Überzeugungen von Lehrpersonen können sich auf verschiedene Aspekte der beruflichen Tätigkeit richten. Nach Fischer (2018) lassen sich sieben Dimensionen identifizieren: „(a) epistemologische Überzeugungen, (b) Überzeugungen zum Unterrichten, (c) Überzeugungen zur Lehrerrolle (dem Selbst), (d) Überzeugungen über die Lernenden, (e) Überzeugungen zur Schule im Allgemeinen, (f) Überzeugungen zur Lehrerausbildung und (g) Überzeugungen aus gesellschaftlicher Perspektive“ (S. 44). Während fachdidaktisch orientierte Studien eher die ersten Dimensionen in den Blick nehmen (u. a. Staub und Stern 2002; Leuchter et al. 2006; Blömeke et al. 2008; Kleickmann 2008; Voss et al. 2011; Korneck et al. 2017; Strauß et al. 2019; Ziepprecht et al. 2019), spielen für Überzeugungen zu Mehrsprachigkeit (u. a. Hammer et al. 2016; Fischer und Ehmke 2019; Maak und Ricart Brede 2019) oder Inklusion (z. B. Strauß und König 2017) auch die allgemein-gesellschaftlichen Dimensionen eine wichtige Rolle. Solche Dimensionen können unterschiedliche Reichweiten haben, sie können fachübergreifend, fach- oder inhaltsspezifisch ausgestaltet werden. Es wird angenommen, dass die jeweiligen Überzeugungen auf den verschiedenen Ebenen zusammenhängen, auf der Ebene von Inhalten aber am präzisesten zu erfassen sind (Ziepprecht et al. 2019, S. 271).

Überzeugungen gelten grundsätzlich als stabil, besonders dann, wenn sie tief im persönlichen Überzeugungssystem verankert und damit stark identitätsstiftend sind. Es gibt aber Hinweise darauf, dass sich Überzeugungen durch neu hinzugewonnenes Wissen in der Aus- und Weiterbildung verändern können (vgl. z. B. Fischer und Lahmann 2020).

2 Überzeugungen zu Orthografie und Orthografieerwerb als Gegenstand empirischer Forschung

Für Überzeugungen zu Orthografie und Orthografieerwerb liegt bisher mit der PERLE-Studie (Post et al. 2013) nur eine quantitative Fragebogenstudie vor.Footnote 1 Dennoch gibt es einige Befunde zu Überzeugungen in Bezug auf den Schriftspracherwerb, die in kleinen Interviewstudien (Kunze 2004; Hofmann 2008; Sauerborn 2016; Tressel 2018; Schröder 2019) qualitativ herausgearbeitet wurden oder aus offenen Fragen in Fragebogenerhebungen stammen (Bernasconi et al. 2011; Sauerborn 2016). Sie werden im Folgenden im Überblick dargestellt. Dabei werden die drei Dimensionen auf den Lernbereich „Richtig schreiben“ übertragen und als Ordnungsstruktur genutzt, die aus fachlicher Sicht zentrale Aspekte in den Blick nehmen: Überzeugungen über den Lerngegenstand „Orthografie“ (1), über das Unterrichten von Rechtschreiben (2) und über die (Rechtschreib‑)Lernenden (3).

2.1 Überzeugungen über den Lerngegenstand „Orthografie“

Überzeugungen über den Lerngegenstand Rechtschreibung beziehen sich zum einen auf die Frage des Stellenwerts der Rechtschreibung im gesellschaftlichen und schulischen Kontext. Den von Kunze (2004) befragten Lehrkräften ist die Beherrschung sprachlicher Normen und damit der Rechtschreibung wichtig, wenngleich sich bei einigen eine Relativierung abzeichnet: Der Stellenwert der Orthografie in der Gesellschaft wird als sinkend wahrgenommen (ähnlich auch bei Tressel 2018, S. 60; Bernasconi et al. 2011, S. 502).

Stärker epistemologisch ausgerichtet sind Fragen nach dem Wesen des Lerngegenstands „Rechtschreibung“. Die Systematik der deutschen Rechtschreibung kommt in den Interviews und Fragebögen zur Sprache, indem die fehlende Geregeltheit als Ursache für Schwierigkeiten beim Erlernen der Orthografie benannt wird (Bernasconi et al. 2011, S. 502). Auch die Frage nach dem Verhältnis von geschriebener und gesprochener Sprache kann im Rahmen epistemologischer Überzeugungen über den Gegenstand diskutiert werden. Die Mehrheit der Lehrpersonen folgt der umstrittenen Auffassung, dass Schrift die einzelnen Laute der Sprache abbildet und dass man etwa bei korrekter „Hochlautung“ bestimmte schriftliche Strukturen wie Doppelkonsonanten oder das silbeninitiale <h> „hören“ könne.

Allerdings ist bei solchen Aussagen zum Gegenstand „Rechtschreibung“ in Rechnung zu stellen, dass auch in den Bezugsdisziplinen die Frage nach der Reichweite systematischer Beschreibungen des Lerngegenstands und dem Zusammenhang zwischen gesprochener und geschriebener Sprache durchaus unterschiedlich beantwortet wird. Hier muss sichergestellt sein, dass nicht vorschnell bestimmten Gegenstandsmodellierungen die Validierung durch Bezugswissenschaften abgesprochen wird und sie zu Überzeugungen „degradiert“ werden, weil sie der im Forschungsprojekt favorisierten linguistischen Theorie nicht entsprechen.

2.2 Überzeugungen über das Unterrichten von Rechtschreiben

Etwas umfangreicher sind die Befunde zur Frage des Lehrens und Lernens von Orthografie. So lassen sich zunächst Fragen nach Zielen und Aufgaben des Rechtschreibunterrichts v. a. in der Grundschule stellen. Besonders Lehrpersonen aus der Sekundarstufe 1 sind der Ansicht, dass am Ende der Grundschulzeit der grundlegende Rechtschreiberwerb abgeschlossen sein sollte (Bernasconi et al. 2011, S. 502) oder sehen im Rechtschreiberwerb gar das vorrangige Ziel des Schreibunterrichts in der Grundschule (Tressel 2018, S. 62). Andere Lehrpersonen sind der Überzeugung, das Bedürfnis nach richtiger Schreibung und damit auch die Kompetenz entwickle sich „von selbst“, sodass es natürlich sei, wenn die rechtschriftlichen Fertigkeiten von Viertklässlern noch gering ausgeprägt seien.

Ähnliche Fragen stellen sich auch zu Beginn der Grundschule. Es ist in der Praxis (und in der didaktischen Diskussion) umstritten, ob Kinder von Anfang an zum freien Schreiben angehalten werden sollen, auch wenn sie dadurch orthografisch falsche Schreibungen produzieren. Damit verknüpft ist die Frage, ob unterrichtliche Lernangebote (als Korrektur von Fehlschreibungen und/oder als expliziter Rechtschreibunterricht) gleich zu Beginn einsetzen sollen. Aus Sicht vieler Lehrer/innen sollen solche Angebote erst nach einer Phase des lautgetreuen Schreibens und frühestens in Klasse 2 eingesetzt werden (Sauerborn 2016). Davor gilt vielerorts der Grundsatz, Kinderschreibungen nicht zu korrigieren – ein Umstand, der von Gymnasiallehrpersonen als Grund für mangelnde Rechtschreibleistungen angesehen wird (Tressel 2018, S. 59). Auch in der PERLE-Studie stimmen die befragten Lehrer/innen einem fehlertoleranten Unterricht mit eigenen Schreibversuchen („Constructivist View“) eher zu als einem Unterricht, der von Anfang an auf orthografische Instruktion setzt und versucht Fehler zu vermeiden oder zumindest immer zu korrigieren („Transmission View“, Poloczek et al. 2011, S. 85–87). Eine „Zweiphasigkeit“ favorisierten auch die Lehrpersonen bei Schröder (2019), bevor sie sich mit der Hinwendung zu einem silbenorientierten Verfahren neu orientierten, was bei den meisten eine „Aufhebung der Zweiphasigkeit“ und damit eine „Gleichrangigkeit des Richtigschreibens und freien Schreibens von Anfang an“ (ebd., S. 508) zur Folge hatte.

Lehrpersonen sehen am Schulbeginn einen Zusammenhang zwischen der Korrektur von Rechtschreibfehlern und der Schreibmotivation. Die Konfrontation mit der Norm (oder dem System) wird von den Lehrpersonen als eher demotivierend eingeschätzt, insbesondere die Konfrontation mit eigenen Rechtschreibfehlern (Sauerborn 2016, S. 8 f.; Tressel 2018, S. 60). Damit wird dem „richtigen Schreiben“ ein ganz anderer Status zugesprochen als etwa dem „richtigen Rechnen“ – was aus Sicht der Lehrpersonen wiederum negative Folgen für die Bereitschaft der Schüler/innen zum orthografisch korrekten Schreiben in den höheren Klassenstufen hat.

Einig sind sich Lehrpersonen in den präferierten Konzepten der Rechtschreibförderung. Die von Bernasconi et al. (2011, S. 503) befragten Lehrer/innen folgen weitgehend der Idee, dass Rechtschreibung durch das Erlernen von „Regeln“ und durch „Üben“ gefördert wird. Für die höheren Klassenstufen (ab 9) werden andere Formen genannt, dort rückt die individuelle Arbeit an Fehlern aus Texten in den Mittelpunkt (Kunze 2004). Eigentliche didaktische Konzepte sind dabei kaum erkennbar und nur vereinzelt setzen Lehrpersonen explizit auf das visuelle Einprägen. Auch bei Hofmann (2008, S. 76) stimmen die Lehrer/innen dem Einüben und Anwenden von Regeln deutlich zu, während sie ein Einprägen von Wortbildern eher ablehnen, selbst wenn ihr Unterricht hauptsächlich aus Abschreibaufgaben besteht (ebd., S. 133).

2.3 Überzeugungen über die (Rechtschreib‑)Lernenden

Befragt nach Gründen für das Entstehen von Schwierigkeiten beim Schriftspracherwerb sehen Lehrpersonen diese vor allem in den subjektiven Voraussetzungen der Schüler/innen. Sie führen mangelnde Konzentrationsfähigkeit, wenig Unterstützung durch das Elternhaus und die modernen Medien als Ursachen für das Entstehen von Rechtschreibschwierigkeiten an (Bernasconi et al. 2011, S. 502 f.; Tressel 2018, S. 58; Kunze 2004, S. 357).

3 Fragestellung und Hypothesen

Ziel der hier berichteten Studie ist es unter anderem, über die vorliegenden Einzelbefunde hinaus einen ersten Baustein für die systematische Erforschung von Überzeugungen zu Orthografie und Orthografieerwerb beizusteuern. Es stellen sich daher folgende Fragen:

  1. 1.

    Welche Überzeugungen zu Orthografie und Orthografieerwerb zeigen sich bei den untersuchten Primarlehrpersonen?

Wir erwarten, dass sich Lehrpersonen innerhalb der ausgewählten Dimensionen entlang der oben dargestellten Befunde unterscheiden. Insbesondere der wahrgenommene Grad der Systematizität der Orthografie dürfte sich unterscheiden, ebenso die Relevanz, die der Orthografie als Lerngegenstand im Hinblick auf gesellschaftliche Veränderungen zugesprochen wird. Im Bereich des Unterrichtens stellt sicher die Frage nach dem Beginn des Orthografieunterrichts einen Aspekt dar, der sehr unterschiedlich eingeschätzt werden wird. Während für das regelorientierte Lernen eine durchweg hohe Zustimmung zu erwarten ist, ist offen, inwiefern sich andere Methoden in ihrer Zustimmung unterscheiden. In Bezug auf die Schüler/innen ist anzunehmen, dass dem häuslichen Umfeld sowie internalen Faktoren eine hohe Relevanz zugeschrieben wird.

  1. 2.

    Lassen sich unterschiedliche Überzeugungstypen unter den teilnehmenden Lehrpersonen identifizieren?

  2. 3.

    Bestehen Zusammenhänge zwischen den unterschiedlichen Typen und Personenmerkmalen wie Alter, Ausbildung und Länderzugehörigkeit?

Die oben angesprochenen Positionen sind theoretisch nicht beliebig kombinierbar, sodass davon auszugehen ist, dass sich unterschiedliche Überzeugungstypen finden lassen. Allerdings zeigen die oben referierten Studien auch, dass die in den Interviews geäußerten Positionen nicht unbedingt in sich konsistent sind, was die Klarheit von Überzeugungstypen wesentlich reduzieren könnte. In Bezug auf die Hintergrundmerkmale nehmen wir zunächst keine länderspezifischen Unterschiede an. Allerdings gehen wir davon aus, dass sich die Lehrpersonen aufgrund ihrer Ausbildung unterscheiden. Da die Ausbildungssituation in den beiden Ländern sehr unterschiedlich ist (s. unter Stichprobe), könnten sich hier indirekt Länderunterschiede zeigen.

4 Methodisches Vorgehen

4.1 Stichprobe

Ausgewertet wurden die Daten von N = 44 Lehrpersonen (90,9 % weiblich), die auf Anfrage freiwillig an der Videostudie teilgenommen haben. Sie stammen jeweils etwa zur Hälfte aus der Schweiz (nCH = 23) und aus Deutschland, genauer aus Sachsen (nD = 21). Die Proband/innen sind im Durchschnitt 40,5 Jahre alt (SD = 12,7) und verfügen im Durchschnitt über 13,3 Jahre Berufserfahrung (SD = 11,7). Alter und Erfahrung der Lehrpersonen sind in beiden Teilstichproben (D/CH) vergleichbar.Footnote 2

Der Ausbildungshintergrund der Lehrpersonen ist sehr heterogen: Während die jüngeren Lehrpersonen ein Hochschulstudium absolviert haben (Stufe Lehramt/Master nD = 15, nCH = 3; Stufe Bachelor nCH = 10), haben die älteren keinen Hochschulabschluss und wie damals üblich ein Schweizer Lehrerseminar oder zu DDR-Zeiten ein Institut für Lehrerbildung besucht (nD = 6, nCH = 10).

4.2 Instrument

Als Erhebungsinstrument dient ein Fragebogen mit 61 Items, zu denen mithilfe eines vierstufigen Antwortformats die Zustimmung erfragt wurde (z. B. 1 = stimme nicht zu bis 4 = stimme zu). Er gliedert sich in verschiedene Teile, die den oben dargestellten Überzeugungsdimensionen entsprechen und im Folgenden operationalisiert werden. Zusätzlich wurden zwei Skalen zur Erfassung der wahrgenommenen Selbstwirksamkeit aufgenommen.

Die oben aufgeführten drei Dimensionen dienen als heuristisches Modell zur Operationalisierung von Überzeugungen im Lernbereich „Richtig schreiben“ (vgl. Übersicht in Tab. 1). Die Überlegungen zu grundlegenden Differenzen in diesen Überzeugungen und Itemformulierungen stammen einerseits aus den oben vorgestellten Studien, andererseits nehmen sie Bezug auf Diskurse der Sprachdidaktik und der Linguistik. Nicht zuletzt flossen Erfahrungen aus der Arbeit mit Lehrer/innen in der Aus- und Weiterbildung in die Operationalisierung und die Formulierung von Items ein. Auf die bereits vorhandenen Instrumente und Items aus dem mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich konnte aufgrund der Bereichsspezifik nur eingeschränkt zurückgegriffen werden.

Tab. 1 Konzeption des Fragebogens

Überzeugungen über den Lerngegenstand „Orthografie“

Überzeugungen zum Gegenstand und seiner Beschaffenheit, oft auch als „epistemologische“ Überzeugungen modelliert, stellen in einer gering strukturierten Domäne wie der Orthografie eine besondere Herausforderung dar. Es lassen sich zwar deutlich unterschiedliche Gegenstandsmodellierungen in Interviews (Schröder 2019) oder im Unterricht (Riegler et al. 2020) erkennen. Diese Gegenstandsmodellierungen können aber nicht ohne Weiteres als Überzeugungen angesehen werden, da diese Modellierungen mehr oder weniger ausgeprägt durch unterschiedliche Theorien der Bezugswissenschaften validiert werden können. Somit orientieren wir uns an allgemeineren Fragen wie dem Ausmaß der Systematizität, das dem Schriftsystem zugesprochen wird. Wie sich sowohl in theoretischen Überlegungen (Jagemann und Weinhold 2017) als auch in verschiedenen Studien (s. oben) zeigt, können Lehrpersonen sehr unterschiedlicher Ansicht sein, in welchem Ausmaß die deutsche Schriftsprache durch Regelmäßigkeiten geprägt ist bzw. welchen Umfang sog. „Ausnahmen“ einnehmen. Außerdem stellt sich die Frage, ob Lehrpersonen das Einhalten rechtschriftlicher Normen als zusätzliche Hürde für Schreibende verstehen oder ob sie der Orthografie eine klare Funktion, beispielsweise für das schnellere Erfassen beim Lesen, zuweisen (Funktionalität). Wie bereits beim Forschungsstand zu sehen, schätzen Lehrpersonen die Relevanz der Beherrschung der Orthografie für den Alltag und die (Bildungs‑)Biographien der Schüler/innen unterschiedlich ein (Stellenwert).

Beispielitems:

  • Systematizität: Die Rechtschreibung ist ein in sich logisches, geordnetes System.

  • Funktionalität: Orthografische Normen sind eine überflüssige Hürde beim Schreiben. (invertiert)

  • Stellenwert: Eine sichere Rechtschreibung ist Voraussetzung für schulischen Erfolg.

Überzeugungen über das Unterrichten von Rechtschreiben

Die Unterscheidung von transmissiven und konstruktivistischen Lehr-Lern-Überzeugungen spielt in Studien zu Überzeugungen über den mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht eine wichtige Rolle (z. B. Staub und Stern 2002; Voss et al. 2011). Diese Unterscheidung lässt sich nicht ohne Weiteres auf den Rechtschreibunterricht übertragen. Wie sich bei der PERLE-Studie zeigt, führt die Operationalisierung der Konstrukte für den Rechtschreibunterricht zu einer Fokusverschiebung. Sie generiert Items, die eher die Zustimmung zu spezifischen Fragen dieses Unterrichts erfassen, etwa zur Fehlertoleranz (Poloczek et al. 2011, S. 85–87). Daher wird im Folgenden diese allgemeindidaktische Unterscheidung zugunsten orthografiedidaktisch spezifischeren Fragen aufgegeben.

Für den Rechtschreibunterricht sind unterschiedliche Prämissen zu klären. Es stellt sich die Frage, in welchem Ausmaß explizite unterrichtliche Lernangebote zur Rechtschreibung überhaupt notwendig sind. Damit verbunden ist die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für solche Lernangebote. Die in der Praxis weit verbreitete (s. oben) und teilweise auch curricular verankerte (z. B. im Schweizer Lehrplan 21) „Zweiphasigkeit“ wird in der didaktischen Diskussion zunehmend kritisiert. Es wird gefordert, von Anfang an mit Kindern an orthografischen Strukturen zu arbeiten und dem eigenständigen Schreiben orthografische Lernangebote an die Seite zu stellen oder diese gar prioritär zu behandeln, statt zunächst eine Phase des lauttreuen Schreibens zu tolerieren oder gar anzuleiten (zu dieser Debatte Kruse und Reichardt 2016).

Beispielitems:

  • Zeitpunkt des Beginns: Es reicht völlig, wenn Kinder erst in Klasse 3 mit orthografischen Normen in Berührung kommen. (invertiert)

  • Relevanz unterrichtlicher Lernangebote: Richtiges Schreiben kann man nur erlernen, wenn im Unterricht systematisch an der Rechtschreibung gearbeitet wird.

Es ist anzunehmen, dass Lehrpersonen über unterschiedliche Vorstellungen davon verfügen, wie Kinder in ihrem Orthografieerwerb unterstützt werden können. Diese divergierenden didaktischen Orientierungen hängen mutmaßlich eng mit unterrichtsmethodischen Präferenzen zusammen. So ist das „Memorieren“ von Wortschreibungen (z. B. durch Abschreibübungen) in Lehrmitteln und vermutlich im Unterricht weit verbreitet, auch grundwortschatzorientierte Ansätze basieren oft darauf. Als Alternative wird in Theorie und Praxis für den regelhaften Kernbereich der deutschen Orthografie auf das „Regeln lernen“ zurückgegriffen, bei dem eine Wenn-Dann-Relation formuliert wird, die es den Schüler/innen ermöglichen soll, zu einer korrekten Schreibung zu kommen. Leitend ist dabei die Annahme, dass diese Regel erworben und in implizites Wissen überführt werden kann. Im Zuge der graphematischen Forschungen der letzten Jahre und der Diskussion ihrer Konsequenzen für die Orthografiedidaktik (Kruse und Reichardt 2016) kristallisierte sich eine dritte didaktische Orientierung heraus, die auf „Strukturen entdecken“ ausgerichtet ist. Dabei nimmt man an, dass die deutsche Schriftsprache ein eigenständiges und im Kern hoch strukturiertes System ist. Ausgehend von Analysen am geschriebenen Wort werden im Unterricht Regularitäten dieses Systems in Form von Schreibmustern herausgearbeitet, an denen sich die Schüler/innen beim Schreiben orientieren können. Davon unbesehen bleibt auf jeden Fall ein sog. Peripheriebereich, mit Phänomenen, deren Schreibung memoriert werden muss (z. B. Dehnungsmarkierung mit <h>).

Beispielitems:

  • Memorieren: Die Rechtschreibung erwirbt man am besten durch das Einprägen von Lernwörtern.

  • Regeln lernen: Häufige Übungen zum Anwenden von Rechtschreibregeln sind der beste Weg zu einer sicheren Rechtschreibung.

  • Strukturen entdecken: Das Untersuchen von typischen Wörtern des Deutschen hilft den Kindern, die Strukturen der Schriftsprache zu verstehen.

Unabhängig von der jeweiligen didaktischen Orientierung können Lehrpersonen unterschiedlicher Überzeugung darüber sein, wie die Gestaltung des Rechtschreibunterrichts realisiert werden sollte. Diese unterscheidet sich im vorgesehenen Zugriff auf den Gegenstand, der eher induktiv-entdeckend erfolgen oder durch eine stärkere Instruktionsorientierung geprägt sein kann. Auch die Frage nach der Einbettung des Rechtschreibunterrichts in den weiteren Deutschunterricht, insbesondere nach dem Zusammenhang von Schreib- und Rechtschreibunterricht, wird unterschiedlich beantwortet. Schreibprozessmodelle (Sturm et al. 2017, S. 85) und manche curricularen Vorgaben (etwa die deutschen Bildungsstandards für die Grundschule) modellieren Rechtschreibung als Teil basaler Schreibfertigkeiten und damit des Schreibunterrichts. Auch didaktische Konzepte für den Rechtschreibunterricht sehen häufig eine Kopplung von Schreiben und Rechtschreiben vor, indem für jeden Schüler, jede Schülerin individuelle Fehlerwörter aus Texten zur Grundlage von Übungsphasen werden (z. B. Schmellentin und Lindauer 2019).

Beispielitems:

  • Instruktionsorientierung: Rechtschreibung lernen Kinder am besten aus den Erklärungen und Darstellungen der Lehrperson.

  • Art der Einbettung: Rechtschreibung sollte stets ausgehend von Fehlern aus Schülertexten thematisiert werden.

Überzeugungen über die (Rechtschreib‑)Lernenden

Die Kausalattribuierungen von Lehrpersonen für gelingende bzw. misslingende Erwerbsprozesse im Schriftspracherwerb können sich auf internale und externale Faktoren beziehen. Es ist anzunehmen, dass Lehrpersonen unterschiedliche Vorstellungen dazu entwickelt haben, welche Gelingensbedingungen besonders wichtig sind. In Anlehnung an Marx (2007) werden sprachspezifische internale Faktoren wie die phonologische Bewusstheit oder die allgemeine Sprachentwicklung, aber auch unspezifische Faktoren wie Leistungsmotivation und Intelligenz sowie externale Faktoren wie elterliche Unterstützung oder Vorlesekultur innerhalb der Familie angenommen.

Beispielitem:

  • Bitte kreuzen Sie an, für wie wichtig Sie die folgenden Einflussfaktoren für den Rechtschreiberwerb halten: Unterstützung durch die Eltern

Die vorgestellte Operationalisierung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, deckt aber aus unserer Sicht inhaltsvalide wesentliche Fragen zum Gegenstandsverständnis und Vorstellungen zu Orthografie und deren Erwerb ab.

Die Items des Fragebogens wurden zunächst mit Lehramtsstudierenden der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz und Teilnehmenden des Seiteneinsteigerprogramms der Universität Leipzig (n = 121) pilotiert. Im Anschluss daran wurden sie komplett überarbeitet und mithilfe von Lehrpersonen aus Leipzig und Lehramtsstudierenden der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz (n = 72) erneut pilotiert, bevor im Anschluss die definitiven Items gewählt wurden.

Dennoch offenbarten sich beim Einsatz des Instruments einige Schwierigkeiten. Grundsätzlich zeigte sich, dass bei den meisten Items die Breite der Antwortmöglichkeiten nicht genutzt wurde. Bei der Prüfung der zu eindimensionalen Skalen zusammengefassten Items mittels Verfahren der klassischen Testtheorie konnte nicht für alle Skalen eine hinreichende interne Konsistenz erreicht werden. Wenn dies der Fall war, wurden nicht passende Items ausgeschlossen oder Einzelitems aus den Skalen als Proxy- oder Platzhalter-Variablen verwendet (vgl. Tab. 2), um die inhaltliche Validität des Fragebogens nicht zu gefährden. Für die nachfolgend berichteten Ergebnisse wurden 37 Items berücksichtigt.

Tab. 2 Deskriptive Ergebnisse für alle Skalen und die verwendeten Einzelitems

4.3 Statistische Methoden

Die Werte von Skalen mit hinreichender interner Konsistenz und die ausgewählten Einzelitems wurden mittels Clusterzentrenanalysen zu homogenen Gruppen zusammengefasst, um gemeinsame Antwortmuster in den Daten zu identifizieren und auf diese Weise zu einer Einteilung der Lehrpersonen in Überzeugungstypen zu gelangen. Die Auswahl der Zahl der Gruppen erfolgte mittels Varianzanalysen und informationstheoretischen Maßen unter Rücksicht auf eine belastbare Gruppengröße. Die Bedeutsamkeit von Drittvariablen wurde mittels 𝜒2-Statistiken geprüft.

5 Ergebnisse

5.1 Deskriptive Ergebnisse

In der Tab. 2 sind die Ergebnisse der Skalenprüfung und die Mittelwerte der jeweiligen Skalen oder Einzelitems aufgeführt. Bei den Einschätzungen zum Lerngegenstand „Orthografie“ weisen Skala und Items übereinstimmend eine deutliche Zustimmung auf. Die Einschätzungen zum Unterrichten von Rechtschreiben sind deutlich heterogener. Hohe Zustimmung erfährt ein früher Beginn der für relevant gehaltenen unterrichtlichen Lernangebote. Bei den didaktischen Orientierungen fällt die Zustimmung zum „Memorieren“ erwartungsgemäß eher gering aus, während das „Strukturen entdecken“ vergleichsweise hohe Zustimmung findet. Den Items im Bereich der Gestaltung wird insgesamt eher nicht zugestimmt, nur die thematische Verknüpfung mit dem restlichen (Deutsch‑)Unterricht erhält weitgehende Zustimmung. Im Hinblick auf die Rechtschreiblernenden weisen die Lehrpersonen dem Einfluss des familiären Umfelds eine wichtige Rolle zu.

5.2 Überzeugungstypen

Durch die Clusterzentrenanalyse konnten in der untersuchten Stichprobe vier Überzeugungstypen identifiziert werden, die sich aufgrund ihrer Zustimmungswerte und allfälligen Alleinstellungsmerkmalen beschreiben lassen (vgl. Abb. 1). Es wurden dabei Lösungen mit 1–8 Clustern verglichen, um zu einer angemessenen Zahl von Clustern zu gelangen. Es wurde festgelegt, dass ein Cluster mindestens fünf Objekte enthalten muss, damit es inhaltlich belastbar ist. Neben der inhaltlichen Belastbarkeit wurde die Lösung mit dem höchsten Silhouettenkoeffizienten gewählt. Die Clusterbildung wurde mehrfach wiederholt, um die Robustheit des Ergebnisses zu sichern.

Abb. 1
figure 1

Überzeugungstypen. (Abgetragen werden die Mittelwerte pro Inhaltsbereich sowie die 95 % Konfidenzintervalle)

Der größten Gruppe (n = 16) fehlen echte Alleinstellungsmerkmale, ein eindeutiges Profil ist hier nicht zu erkennen. Bemerkenswert sind die eher niedrige Zustimmung zu Formen der direkten Vermittlung von Rechtschreibung zugunsten eines eher entdeckenden Vorgehens sowie die im Vergleich höhere Zustimmung zur Arbeit an Fehlern aus Schülertexten. Dabei heben sie sich aber an keiner Stelle von allen anderen Typen ab. Wir haben diese Gruppe daher als „unbestimmt orientierten Typ“ bezeichnet. Davon ausgehend lassen sich drei weitere Typen abgrenzen:

Lehrpersonen des „vermittlungsorientierten“ Typs (n = 13) halten einen systematischen Rechtschreibunterricht für sehr wichtig, plädieren für einen eher frühen Beginn und zeigen eher höhere Zustimmung zu den didaktischen Orientierungen „Memorieren“ und „Regellernen“ als die Lehrpersonen der anderen Typen. Der Einfluss des häuslichen Umfelds für die Schülerleistungen wird von ihnen hoch eingeschätzt, vermutlich ist aus ihrer Sicht die Vermittlung eines so relevanten Gegenstands durch die Schule alleine nicht möglich und auf Unterstützung durch das Elternhaus angewiesen.

Der „integrativ orientierte“ Überzeugungstyp (n = 7) unterscheidet sich von den anderen Typen insbesondere dadurch, dass er vergleichsweise großen Wert auf eine angemessene Einbettung bzw. Integration des Rechtschreiblernens in den übrigen Deutschunterricht legt. Dies zeigt sich vor allem an der vergleichsweise hohen Zustimmung dazu, dass Rechtschreibung stets ausgehend von Sachtexten oder literarischen Texten thematisiert werden sollte – ein solches Vorgehen wird von den Lehrpersonen der anderen Typen eher abgelehnt.

Beim vierten Überzeugungstyp (n = 8) fallen vor allem die im Vergleich zu den anderen Typen durchweg niedrigen Zustimmungswerte ins Auge. Diese Lehrpersonen scheinen dem Rechtschreibunterricht insgesamt eher skeptisch gegenüberzustehen, sie werden deshalb als „defensiv orientiert“ bezeichnet. Dies zeigt sich besonders deutlich an der eher niedrigen Zustimmung zur Notwendigkeit eines systematischen Rechtschreibunterrichts. Da auch die Zustimmung zu den Einbettungsitems, insbesondere zu einem Rechtschreibunterricht ausgehend von Fehlern in Schülertexten, niedrig ausfällt, gehen diese Lehrpersonen vermutlich davon aus, dass sich Rechtschreibung stärker „von selbst“ entwickelt.

5.3 Zusammenhangsanalysen

Bei den Überzeugungstypen zeigen sich deutliche länderspezifische Unterschiede. Unter den „unbestimmt“ (nCH = 11, nD = 5) und den „defensiv orientierten“ (nCH = 7, nD = 1) Überzeugungstypen finden sich deutlich mehr Schweizer Lehrkräfte; bei den „integrativ orientierten“ (nCH = 1, nD = 6) sowie den „vermittlungsorientierten“ (nCH = 4, nD = 9) Typen dominieren die deutschen Lehrkräfte (χ2(3) = 12,2; p = 0,007). Die Zusammenhänge zum Alter und zur Ausbildung werden nicht signifikant.

6 Diskussion und Ausblick

Die Ergebnisse der Befragung zeigen wie erwartet ein heterogenes Bild. Die Mittelwerte in den unterschiedlichen Skalen sind sehr unterschiedlich, die Standardabweichungen teilweise recht hoch. Insgesamt sind von den oben erwähnten Diskussionen einige hier wieder abgebildet. Der Stellenwert der Rechtschreibung erreicht mit M = 2,75 nicht ganz den Wert „stimme eher zu“, eine Relativierung des Stellenwerts der Orthografiebeherrschung zeichnet sich hier auch in diesen Daten ab. Im Gegensatz zu den bisherigen Befunden wird hier bei den drei didaktischen Orientierungen jedoch nicht das Regellernen favorisiert. Die höchste Zustimmung erhält „Strukturen entdecken“, was aber vermutlich stärker den Itemformulierungen geschuldet ist und weniger eine entsprechende Grundhaltung anzeigt.

Aus dem Antwortverhalten der teilnehmenden Lehrpersonen ließen sich mittels Clusteranalyse vier Überzeugungstypen berechnen. In ihnen spiegeln sich teilweise grundlegende didaktische Positionen wider, so etwa beim „integrativ orientierten“ Typ die Idee eines integrativen Deutschunterrichts, bei dem Orthografie nicht isoliert, sondern im Verwendungskontext betrachtet wird. Im Gegensatz dazu scheint beim „vermittlungsorientierten“ Typ die Idee eines systematischen Rechtschreibunterrichts auf. Anders als die Diskurslinien in der Orthografiedidaktik nahelegen, kann keine der didaktischen Orientierungen herangezogen werden, um einen Überzeugungstyp eindeutig zu bestimmen. Vermutlich sind dafür die aktuell diskutierten strukturbasierten Silbenansätze in der untersuchten Stichprobe zu wenig verbreitet (vgl. Riegler et al. 2020).

Insgesamt lassen sich die identifizierten Typen inhaltlich nur schwer beschreiben und voneinander abgrenzen. Wie vermutet ist das Antwortverhalten der Befragten aus theoretischer Sicht nicht unbedingt konsistent. Neben dem grundsätzlichen Problem, dass Überzeugungen von Lehrpersonen clusterförmig organisiert und oft widersprüchlich sind (Reusser und Pauli 2014, S. 644), schlagen sich hier orthografiespezifische Besonderheiten nieder: Zum einen sind Überzeugungen von Lehrpersonen vermutlich selbst auf Mikroebene kontextspezifisch, also in Bezug auf einzelne Rechtschreibphänomene unterschiedlich (Schröder 2019). Zum anderen sind die Bereiche Orthografie und Orthografieerwerb sehr komplex und es ist noch zu wenig erforscht, wie man mit unterrichtlichen Angeboten die Kinder bestmöglich beim Rechtschreiberwerb unterstützen kann. So können von Seiten der Theorie keine umfassenden und stringenten Wissensangebote gemacht werden, die Überzeugungen in bestimmten Bereichen in Wissen überführen könnten.

In Bezug auf die Kontextmerkmale überrascht der klare Zusammenhang zur Länderzugehörigkeit. Möglicherweise spielt der Rechtschreibunterricht in Sachsen traditionell eine größere Rolle, was zusammen mit der längeren und fachspezifischeren Ausbildung zu profilierteren Überzeugungstypen führen könnte. In der Schweiz dagegen haben die Lehrpersonen vermutlich durch die Breite und Kürze der Ausbildung kaum Gelegenheit, sich mit Fragen des Orthografieerwerbs auseinanderzusetzen und pointierte Positionen zu entwickeln, was sich dann in „unbestimmt“ oder „defensiv orientierten“ Überzeugungstypen niederschlägt. Die eher erwartbaren Zusammenhänge zum Alter lassen sich dagegen nicht statistisch absichern, was möglicherweise an der kleinen Stichprobe liegt.

Zur Limitierung muss zunächst betont werden, dass es sich bei der untersuchten Stichprobe um eine kleine und anfallende Stichprobe handelt, die keine Aussagen über die untersuchte Gruppe hinaus zulässt. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Skalenprüfung trotz mehrfacher Pilotierung unbefriedigend ausgefallen ist. Dies liegt sicherlich an der Skalenentwicklung, die eher dem Primat der Inhaltsvalidität als der Skalenhomogenität gefolgt ist. Aufgrund der später entwickelten Typen und deren Zusammenhängen zu Personenmerkmalen ist auch anzunehmen, dass die Pilotierungsstichproben sich aufgrund ihrer Zusammensetzung nicht angemessen auf die verschiedenen Typen verteilten.

Mit der vorliegenden Studie ist ein erster Einblick in verschiedene Typen von Lehrerüberzeugungen zu Orthografie und Orthografieerwerb möglich geworden. Es zeichnen sich erste Kategorien ab, die dazu dienen könnten, verschiedene Typen voneinander zu unterscheiden. In welchem Zusammenhang diese Überzeugungstypen mit dem professionellen Wissen von Lehrpersonen und ihrem Unterrichtshandeln steht, wird aktuell geprüft. Es bedarf weiterer Forschungsanstrengungen, um die Struktur der Überzeugungen zu klären und die Typenbildung zu schärfen.