Energiekrise: Markteingriffe der Politik sind notwendig!

21. Juli 2022

Wir befinden uns mitten in einer multiplen Energiekrise. Die Versorgung mit Energie ist in Gefahr, die Preise werden weiter steigen. Das ist nicht nur für private Haushalte und Unternehmen ein Problem, vielmehr besteht die Gefahr, dass sich die anhaltend hohe Inflation verfestigt. Dann sind wir mit einer schwerwiegenden wirtschaftlichen Depression konfrontiert, welche zu einem spürbaren Wohlstandsverlust führt. Es braucht jetzt harte Maßnahmen, um das Schlimmste zu verhindern. Und vor allem den politischen Willen, sich über die Interessen mächtiger Unternehmen aus der Energiewirtschaft hinwegzusetzen.

Der Preis von Gas und Strom wird an internationalen Börsen bestimmt. Selbst der Preis für private Endverbraucher wird von den Energieversorgungsunternehmen mittels Indexierung regelmäßig an Börsenpreise gebunden. Das ist eine Konsequenz der von wirtschaftsliberalen Kräften, der Energiewirtschaft forcierten Liberalisierung des Energiesektors in den vergangenen 30 Jahren.

Das mächtigste Unternehmen am Gasmarkt ist die russische Gazprom. Sie agiert nicht nach Marktregeln, sondern manipuliert politisch motiviert. Bereits vergangenes Jahr hat die Gazprom dem Markt weniger Gas zur Verfügung gestellt und eigene Speicher nicht mehr aufgefüllt. Mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine wurde schließlich für alle offensichtlich, wie abhängig Europa von der Gazprom ist. Die Unsicherheit über die zukünftige Versorgung mit Gas hat den Börsenpreis für Erdgas in die Höhe getrieben.

Hinzu kommen spekulative Derivatgeschäfte, deren Zweck kurzfristige Gewinne durch Ausnützen von Preisschwankungen ist. Es sind Unternehmen aus der Finanzbranche, aber auch die Energieunternehmen selbst, die hier auch mit computergesteuertem Hochfrequenzhandel die Unsicherheit, Volatilität und Preise treiben.

Von den hohen Preisen wiederum profitiert die fossile Energiewirtschaft. So konnte etwa die OMV bereits im ersten Quartal 2022 ihren Gewinn (nach Sondereffekten) beinahe verdreifachen. Doch nicht nur die Gaspreise sind von weniger als 25 Euro/MWh in den vergangenen Jahren auf heute rund 180 Euro/MWh massiv gestiegen, auch der Strompreis hat ein Niveau erreicht, das bisher unvorstellbar war. In den vergangenen Jahren lag der Preis bei unter 50 Euro/MWh, derzeit liegt er bei knapp 400 Euro/MWh.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Dass auch der Börsenpreis für Strom so stark gestiegen ist, verwundert zunächst, zumal mehr als 80 Prozent der heimischen Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen, wie Wasserkraft, Windenergie und Photovoltaik stammen. Doch der Börsenpreis für Strom wird nach dem Merit-Order-System ermittelt. Die Produktionskosten des teuersten noch benötigten Kraftwerks bestimmen den Preis. Aufgrund der schwankenden Einspeisung von erneuerbarer Energie ist das meist ein Gaskraftwerk. Der Strompreis steigt daher mit dem Gaspreis, obwohl sich die Produktionskosten für mehr als 80 Prozent der heimischen Stromproduktion nicht verändert haben. Das gilt für private Windkraftbetreiber, deren Anlagen durch Förderungen finanziert wurden, ebenso wie für ganz große Ökostromproduzenten, wie die Verbund AG. Deren ehemaliger Vorstand, Christian Kern, schätzt, dass der Verbund um 7,2 Milliarden Euro mehr Gewinn machen wird.

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Die Rechnung zahlen die Verbraucher:innen. So ist die aktuelle Inflation zu rund zwei Drittel auf die Effekte der hohen Energiepreise zurückzuführen. Doch das ist erst der Anfang. Die Energieversorger geben die Börsenpreise zeitversetzt weiter, die hohen Großhandelspreise werden erst im kommenden Jahr bei den privaten Haushalten ankommen. Mit einer Verdoppelung der Gas- und Strompreise muss gerechnet werden. Wenn dann Unternehmen wegen steigender Preise die Produktion verringern, steigen die Preise weiter, das Wirtschaftswachstum geht zurück, die Arbeitslosigkeit nimmt zu und die Inflation steigt. Dann befinden wir uns in der Stagflation, einer anhaltenden wirtschaftlichen Depression – mit entsprechenden sozialen, gesellschaftlichen und politischen Folgen.

Es braucht daher rasch umsetzbare, pragmatische Lösungen auf nationaler Ebene (1–4) und systemische Eingriffe auf europäischer Ebene (5–6), die zu einer spürbaren Reduktion der Energiepreise führen. Dabei gilt es auch die Energiewirtschaft in die Pflicht zu nehmen.

  1. Gesetzliche Vorgaben, welche Gasimporteure verpflichten, ihre Verantwortung für die Versorgungssicherheit wahrzunehmen. Die OMV ist für mehr als zwei Drittel der Gasimporte nach Österreich verantwortlich. Hand in Hand mit Politik und Wirtschaft hat sie in den vergangenen Jahren die Abhängigkeit von russischem Gas von etwa 50 Prozent auf über 80 Prozent erhöht. Trotz der aktuellen Versorgungskrise scheint die OMV offensichtlich nicht dazu bereit zu sein, ihre Lieferquellen ausreichend zu diversifizieren oder deutlich mehr Gas einzuspeichern.
  2. Regulierte Tarife für Endverbraucher. Im kommenden Jahr ist mit den nächsten massiven Preiserhöhungen für Private zu rechnen, damit wird Energie für immer größere Teile der Gesellschaft unleistbar. Das hat auch die EU-Kommission erkannt und die Möglichkeit geschaffen, regulierte Tarife für private Haushalte einzuführen. Davon sollte auch Österreich Gebrauch machen.
  3. Anpassung von Sozialleistungen: Vulnerable Gruppen brauchen zusätzliche Unterstützung, Sozialleistungen müssen der Preisentwicklung Rechnung tragen und auf ein existenzsicherndes Niveau angehoben werden.
  4. Eine hohe Steuer auf unverantwortlich hohe Zufallsgewinne. In der aktuellen Krise ist es eine Notwendigkeit, Übergewinne abzuschöpfen und die Mittel für Maßnahmen zur Senkung der Energiepreise zu verwenden. Italien, Griechenland oder Großbritannien zeigen, dass dies möglich ist.
  5. Strompreis vom Gaspreis entkoppeln. Spanien und Portugal haben es mit dem „Strompreisdeckel“ vorgezeigt, und es funktioniert. Die geäußerten Befürchtungen, wie das Verdrängen von Erneuerbaren oder Versorgungsprobleme, sind nicht eingetreten. Der Strompreis auf der Iberischen Halbinsel ist derzeit halb so hoch wie im Rest Europas. Österreich muss sich daher auf europäischer Ebene für eine europaweite Umsetzung des „iberischen Modells“ einsetzen und die technische Umsetzung vorbereiten.
  6. Finanztransaktionssteuer und Ausschluss marktfremder Akteure. Preistreibende Spekulationsgeschäfte mit Energiederivaten müssen unterbunden werden. Wie auch vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung vorgeschlagen, sollten spekulative Geschäfte durch die Einführung einer Finanztransaktionssteuer unrentabel gemacht werden.
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Eines ist dabei klar: Die Energieministerin wird alleine nicht in der Lage sein, die Probleme, die im Wesentlichen auf Versäumnisse der Vergangenheit zurückzuführen sind, zu beheben. Diese multiple Energiekrise ist nur dann bewältigbar, wenn Partikularinteressen hintangestellt werden und sich die Bundesregierung gemeinsam gegen die Interessen großer Konzerne durchsetzen kann!

Der Beitrag ist in der Tageszeitung „Der Standard“ als Kommentar der Anderen erschienen.

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