Herausforderungen im beruflichen Alltag gemeinsam bewältigen

Interprofessionelle Qualitätszirkel für die Palliativversorgung

Forschung
Ausgabe
2021/01
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2021.10283
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2021;21(01):9-10

Affiliations
Hochschule für Angewandte Psychologie, Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW)

Publiziert am 06.01.2021

Interprofessionelle Qualitätszirkel können Fachleute unterschiedlichster Disziplinen zusammenführen, um die Herausforderungen des beruflichen Alltags in der allgemeinen und spezialisierten Palliative Care gemeinsam zu bewältigen. Ein aktuelles Projekt im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Gesundheitsversorgung» (NFP 74) hat dazu in enger Kooperation mit Hausärztinnen und Haus­ärzten ein Konzept und eine Agenda entwickelt.

In der Behandlung und Betreuung von Palliativpatientinnen und -patienten gilt die Zusammenarbeit zwischen Fachleuten als Königsweg. Oft arbeiten Hausärzte/Hausärztinnen mit Pflegefachpersonen und Spezialisten/Spezialistinnen sowie mit der Sozialarbeit, Psychologie, Seelsorge, Physiotherapie und weiteren unterstützenden Diensten eng zusammen. Insbesondere im häuslichen Pflegebereich werden Dienstleistungen gemeinsam mit Angehörigen und Freiwilligen erbracht. Überdies stellen spezialisierte Palliative Care Teams in Spitälern, Ambulatorien, Hospizen oder mobile Palliative Care Teams (MPCT) eine unverzichtbare Unterstützung in komplexen Palliativsituationen dar.
Interprofessionalität wird heute im Gesundheitswesen umfassend gefördert, denn vielfach verbessert sie nicht nur die Versorgungsleistung und die Patientensicherheit, sondern auch die Arbeitszufriedenheit der Leistungserbringenden [1]. Patienten und ihre Fa­milien fühlen sich gut betreut und sicher, wenn das interprofessionelle Zusam­menspiel gut funktioniert [2]. Der ­Erfolg interprofessioneller Kooperation hängt allerdings auch davon ab, inwieweit die Versorger/-innen dazu befähigt werden, innerhalb der Gesundheitseinrichtungen und darüber hinaus ­effektiv und mit Fokus auf das Patientenwohl zusammenzuarbeiten. Im Folgenden werden interprofessionelle Qualitätszirkel als Mittel der Wahl dargestellt, um Interprofessionalität im beruflichen Alltag der Palliativversorgung zu stärken und zu ­fördern.

«Good practices»

Inzwischen existieren erste Beispiele und «good practices» für interprofessionelle Qualitätszirkel im Bereich Palliative Care:
Auf Initiative der kantonalen Sektionen Palliativ Care in Zürich (ZH) und Schaffhausen (SH) wurde im Jahr 2018 ein inter­professioneller Qualitätszirkel für Palliative Care ins Leben ­gerufen, der bis heute existiert (pallnetz.ch/geschaeftsstelle-palliative-zhsh.htm).
Das Universitätsspital Zürich bietet einen Qualitätszirkel für ­Palliative Care an, der für die Kommunikation zwischen Spital- und Hausärztinnen bzw. -ärzten ausgelegt ist und so die Versorgerinnen und Versorger an der Schnittstelle von allgemeiner und spezialisierter Palliative Care zusammenführt (www.palliativecare.usz.ch).

Herausforderungen der Versorgung gemeinsam bewältigen

Menschen unterschieden sich stark in ihrer Bereitschaft, zusammen zu arbeiten [3]. Interprofessionalität kann aber erlernt und trainiert werden. Das Fundament dazu wird oft bereits in der Grundausbildung der Gesundheits­berufe gelegt und kann später im Rahmen berufsbegleitender Schulungen aktualisiert und weiterentwickelt werden [4]. Qualitätszirkel stellen eine erprobte und bewährte Methode dar, neben klinischen und orga­nisatorischen Fähigkeiten auch kommunikative und kooperative Kompetenzen zu schulen und zu verbessern. Überdies tragen sie zur Stärkung des beruflichen Selbstverständnisses im Praxisalltag bei und unterstützen bei der Bewältigung schwieriger und komplexer Versorgungssituationen.
Qualitätszirkel bilden eine Schnittstelle zwischen den Herausforderungen im Praxisalltag und deren erfahrungs- und theoriebasierter Reflexion bzw. Aufarbeitung. Überdies bieten sie eine Möglichkeit, aus der ­Isolation der eigenen beruflichen Praxis bzw. des institutionellen Umfeldes auszubrechen und im Erfahrungsaustausch mit gleichgesinnten Fachleuten aus unterschiedlichen Berufsfeldern dazuzulernen. Im interprofessionellen Austausch gewonnene Erkenntnisse und Einsichten können anschliessend erprobt und angewendet werden – und auf diese Weise einen Beitrag zur Qualitätsverbesserung im Praxisalltag leisten [5]. Schliesslich können interprofessionelle Qualitätszirkel auch eine gute Plattform für das Erarbeiten und Prüfen von konsensbasierten Standards und Tools für die ­Zusammenarbeit bilden, indem neue Instrumente von den Mitgliedern des Zirkels in ihrem Arbeitsalltag ­angewendet und validiert werden.
Trotz zahlreicher Vorteile ist es bis heute noch nicht ­üblich, dass Qualitätszirkel ­interprofessionell durchgeführt werden – abgesehen von stationären Versorgungsbereichen, wo interprofessionelle Fallbespre­chungen zu komplexen Krankheitsverläufen durchaus existieren. Mehrheitlich treffen in der beruflichen Fortbildung erst einige wenige Professionen, zum Beispiel Hausärzte und -ärztinnen, Fachleute aus der Chiropraxis oder Physiotherapie in einem Qualitäts­zirkel zusammen. Dabei könnten in interprofessioneller Zusammenarbeit Fallbeispiele aus palliativen Situationen über Berufsgrenzen hinweg gemeinsam erörtert, diskutiert und nicht zuletzt auch Vertrauen und gemeinsame Praxis zwischen den Professionen aufgebaut werden.

Konzept & Agenda für interprofessionelle Qualitätszirkel

Ein Forschungsteam der Hochschule für Angewandte Psychologie (FHNW) hat im Rahmen einer Studie zum Thema «Kooperation und Koordination in der Palliativversorgung» (NRP 74 «Gesundheitsversorgung») und unterstützt von Fachleuten aus dem Palliativbereich ein Konzept für interprofessionelle Qualitätszirkel entworfen. Es ist ergänzt durch eine Agenda, die einen möglichen Ablauf von interprofessionellen Qualitätszirkeln einschliesslich konkreter Methoden skizziert. Auch werden zum Thema praxisnahe Fallbeispiele aus der Palliativversorgung aufgeführt: Die Falldarstellungen können nach dem SENS-Modell erfolgen und zeigen insbesondere die Herausforderungen der Zusammenarbeit auf. Das vorgeschlagene Format (zwei interprofessionelle Qua­litätszirkel im Jahr) kann überall dort zur Anwendung gelangen, wo Gesundheitsfachleute der allgemeinen und der spezialisierten Palliative Care sowie weitere Professionelle, zum Beispiel aus Seelsorge oder Sozialer Arbeit, sich austauschen, unterstützen und voneinander lernen wollen. Es kann bestehende medizinische Qualitätszirkel von Hausärzten oder von anderen beruflichen Netzwerken und Fachgruppen inhaltlich ergänzen, als Grundlage für die Moderation dienen und Fähigkeiten und Kompetenzen im Bereich der Palliativversorgung stärken.
Konzept und Agenda sind abrufbar beim Eidgenössischen Bundesamt für Gesundheit (BAG) unter ­https://interprof.bagapps.ch/data/downloads/87-Konzept__Agenda_IPQZ_2020.pdf?v=1592403453.
Prof. Dr. Brigitte Liebig
School of applied psychology FHNW
Louis-Giroud-Str. 26
CH-4600 Olten
brigitte.liebig[at]fhnw.ch
1 Eicher, M. & Berchtold, P. (2018). Interprofessionelle Zusammen­arbeit: Die Grenzen der Öffnung oder die Öffnung der Grenzen? SAMW Bulletin, 3.
2 Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (2020). Interprofessionelle Zusammenarbeit in der Gesundheitsversorgung: erfolgskritische Dimensionen und Fördermass­nahmen. Differenzierung, Praxis und Implementierung. Swiss Academies Communications 15 (2).
3 Gurtner, S. & Wettstein, M. (2019). Interprofessionelle Zusammenarbeit im Gesundheitswesen – Anreize und Hindernisse in der Berufsausübung. Eine Studie im Auftrag des BAG, Förderprogramm «Interprofessionalität im Gesundheitswesen» 2017–2020. Berner Fachhochschule, Departement Wirtschaft, Institut Unternehmensentwicklung.
4 Atzeni, G., Schmitz, Ch. & Berchtold, P. (2017). Die Praxis gelingender interprofessioneller Zusammenarbeit. Studie im Auftrag der SAMW. Swiss academics reports, Vol 12, Nr. 2.
5 Rohrbasser, A., Kirk, U. B. & Arvidsson, E. (2019). Use of quality circles for primary care providers in 24 European countries: an online survey of European Society for Quality and Safety in family practice delegates. Scandinavian Journal of Primary Health Care. DOI: 10.1080/02813432.2019.1639902.