Südtiroler Automotive-Firmen als Vorreiter bei CO2-Fußabdruck

Mit einer Machbarkeitsstudie machen sich die Mitglieder des Netzwerks Automotive Excellence Südtirol daran, ein standardisiertes Echtzeitmonitoring des CO2-Fußabdruckes mittels Digitalisierung, Sensoren und IoT-Lösungen zu entwickeln. Ein weiterer Schritt im Bemühen um mehr Nachhaltigkeit der Betriebe rund um den neuen Sitz des NOI Techpark in Bruneck, der im Mai 2023 seine Tore öffnet.

AutomotiveExcellenceSuedtirol
9 min readApr 11, 2023
Prof. Erwin Rauch, Professor für nachhaltige Fertigung
Personen v.l.u.n.r.: Georg Trompedeller Tratter Engineering, Florian Pohl GKN Sinter Metals, Michaela Golser GKN Driveline, Wolfgang Knollseisen Alupress; v.r.o.n.l.: Prof. Erwin Rauch unibz, Simon Prinoth, Markus Preuss GKN Sinter Metals, Davide Don Fraunhofer Italia, Georg Grünbacher Intercable ( Foto: NOI Techpark / Daniele Fiorentino)

Wie viel Kohlendioxid verursachen Unternehmen mit ihren Produktionsprozessen und Produkten? Eine Frage, der sich vor allem Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, immer drängender stellen müssen. So auch die wichtigsten Zulieferbetriebe der Automotive-Industrie mit Standort in Südtirol, die sich im Innovationsnetzwerk Automotive Excellence Südtirol (AES) zusammengeschlossen haben. „Eines der kundenseitig wichtigsten Themen im Bereich Nachhaltigkeit ist heute der CO2-Fußabdruck“, sagt Wolfgang Knollseisen, CFO von Alupress. Das Brixner Unternehmen, Spezialist im Bereich einbaufertiger Aluminiumdruckgusskomponenten, hat den Lead in einem Projekt, mit dem sich das Innovationsnetzwerk ein ehrgeiziges Ziel gesetzt hat: innovative Methoden und Ansätze zu entwickeln, um CO2-Emissionen von Produkten netzwerkintern nach einem einheitlichen Standard zu erheben, zu berechnen und darzustellen. Und das möglichst einfach und aufwandsarm, aber klarerweise unter Einhaltung aller internationalen Normen und Standards.

Unternehmen von Automotive Excellence gemeinsam für die Zukunft

Vom geschätzten zum effektiven Fußabdruck

„Der Bereich der Erfassung und Quantifizierung des CO2-Fußabdrucks von Produkten oder Herstellungsprozessen an sich ist nicht neu. Es gibt bereits seit geraumer Zeit sowohl Methoden als auch Werkzeuge für sogenannte Life-Cycle-Assessments, kurz auch LCA genannt“, erklärt Erwin Rauch, der mit seiner Stiftungsprofessur im Bereich Smarte und Nachhaltige Produktion einer der wissenschaftlichen Köpfe der unibz im neuen NOI Techpark in Bruneck sein wird. Allerdings seien diese noch unzureichend verbreitet und würden aktuell noch nicht flächendeckend Anwendung in den Betrieben finden. Auch bei den AES-Mitgliedern spürt man eine starke Verantwortung für die Dekarbonisierung in Südtirol sowie den zunehmenden Druck auf Produzenten und Lieferanten im Automobilbereich und die immer strengere Gesetzgebung in Bezug auf die Offenlegung der CO2-Emissionen. „Hier liegt der Fokus zum einen auf den Maßnahmen, um den CCF (company carbon footprint) zu reduzieren und zum anderen auf der Ermittlung des PCF (product carbon footprint). In diesem Bereich haben alle Unternehmen unserer Gruppe bereits erste Schritte gesetzt, aber noch keiner hat ein wirkliches System etabliert. Somit haben wir uns dazu entschlossen dieses Projekt zu starten, um gemeinsam am Thema zu arbeiten“, erklärt Knollseisen.

In einem ersten Schritt wollen die Betriebe einen Standard entwickeln, mit dem im Rahmen von Angebotsabgaben der CO2-Fußbadruck der Produkte „cradle to gate“, also vom Abbau der Rohstoffe bis zur Bereitstellung des Fertigprodukts am Werkstor, angegeben werden kann. „Durch die Zusammenarbeit mit den anderen Südtiroler Automobilzulieferern können wir hier unserer Erfahrungen hinsichtlich der Kundenanforderungen und hinsichtlich der Systemauswahl und der Systemgrenzen teilen und zu einem gemeinsamen Standard kommen“, sagt Alupress-CFO Knollseisen. Doch damit ist das Ziel noch nicht erreicht. Nach erfolgter Angebotsabgabe und Auftragserhalt ist es in einem zweiten Schritt notwendig, den effektiven Fußabdruck des Produkts mit dem im Vorfeld kalkulatorisch ermittelten Wert zu vergleichen. Dies soll in Zukunft möglichst durch ein Live-Tracking, also die kontinuierliche Erfassung der relevanten Daten und Beobachtung der Entwicklung des PCF über die Zeit erfolgen.

Wissenschaftliche Begleitung durch unibz und Fraunhofer Italia

Wissenschaftlich begleitet werden die Unternehmen nicht nur von der Freien Universität Bozen, sondern auch von Fraunhofer Italia. „Als Spezialist für angewandte Forschung wird Fraunhofer ein starker Partner in diesem Projekt sein — bei der Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in praktische Anwendungen, aber auch bei der Entwicklung von Lösungen für spezifische Aspekte des Projekts, die einen maßgeschneiderten und kreativen Ansatz erfordern“, stellt Fraunhofer Italia Forscher Davide Don in Aussicht. Eine zentrale Rolle spielen aber auch digitale und IoT-Lösungen. „Europa hat hier generell großes Potenzial, die derzeit ausgezeichnete Ausgangsposition hinsichtlich Digitalisierung und Industrie 4.0-Technologien mit den Themen der ökologischen Nachhaltigkeit zu verbinden, um dadurch einen globalen Wettbewerbsvorteil zu erzielen“, meint Prof. Erwin Rauch. Umso wichtiger sei dieses Forschungsprojekt. „Aktuell ist es noch sehr mühsam und erfordert sehr viel manuelle Arbeit, die notwendigen Daten für die Berechnung des CO2-Fußabdrucks eines Produktes zusammenzutragen und dann auch noch in systematischer und methodisch korrekter Weise zusammenzufügen. Das Hauptpotenzial des Projekts liegt in der Möglichkeit, dies mit dem Tracking realer Daten und einer weitgehend automatisierten Berechnung zu bewerkstelligen. Am Ende der Machbarkeitsstudie werden wir bewerten, ob die einzelnen Betriebe die notwendigen Voraussetzungen hierfür mitbringen bzw. was dafür in Zukunft notwendig ist. Die mittelfristige Perspektive wäre dann, in einem nachfolgenden F&E-Projekt gemeinsam ein solches Carbon Footprint Monitoring Tool zu entwickeln und in den AES Unternehmen zu verankern. Damit würde nicht nur der anstehende Aufwand für die Erhebung der CO2-Emissionen erheblich verringert, sondern vor allem auch ein künftiger Wettbewerbsvorsprung für die AES-Unternehmen erzielt“, so Rauch.

„Nur nachhaltige Unternehmen werden in Zukunft bestehen können“

Mit vollem Einsatz dabei sind die einzelnen AES-Pilotbetriebe, bei denen jeweils eine Carbon Footprint Analyse durchgeführt wird. „Nachhaltigkeit ist die Herausforderung der kommenden Jahre und Jahrzehnte — auch weil das Thema mit der wirtschaftlichen Entwicklung einhergeht. Nur nachhaltige Unternehmen werden in Zukunft bestehen können, davon bin ich fest überzeugt“, sagt Georg Grünbacher von Intercable. Der innovative Schritt des Echtzeitmonitorings biete dem führenden Kunststoffproduzenten die Möglichkeit, sowohl in der Produktion als auch in der Angebotsphase von Neuprojekten direkte Ableitungen zu treffen und die Planung anhand des CO2-Fußabdrucks auszurichten. „Damit erhalten wir ein effizientes Werkzeug, um direkt auf die Vergabe von Neuprojekten einwirken zu können. Die Erfahrungen und der Austausch mit den anderen teilnehmenden Firmen bieten dabei einen ungemeinen Mehrwert, um möglichst alle Aspekte und Anforderungen zu erfassen und das Projekt dank der verschiedenen Blickwinkel auch möglichst effizient zu realisieren“, so Grünbacher.

Luft nach oben für die Verbesserung der Umweltauswirkungen und der Energiebilanz der eigenen Produkte sehen alle Pilotbetriebe. „Das größte Potenzial liegt, wie auch in vielen anderen Branchen, in der Gewinnung der Rohstoffe und der Reduzierung der immensen Transportstrecken“, sagt Georg Trompedeller, Head of Quality bei Tratter Engineering, einem weiteren Hersteller von Kunststoffkomponenten.Lokale Produktionen, Qualität und strukturierte Prozesse sollten dafür wieder mehr in den Fokus rücken. Auch der smarte Einsatz der Produkte könnte den Lebenszyklus vieler Produkte um ein Vielfaches verlängern.“

Vielfach geht es aber um besonders energieintensive Prozesse, auf die sich die Pilotbetriebe in einem ersten Schritt fokussieren. „Unser energieintensivster Prozess ist unumstritten das Härten der Teile“, sagt Michaela Golser von GKN Driveline. Bisher härtete der Produzent von elektrifizierten Antrieben und Allradsystemen für die Automobilbranche die Teile in der Gashärterei, die aufgrund des hohen Verbrauchs eines fossilen Energieträgers eine schlechte CO2-Bilanz aufweist. Derzeit sei deshalb eine insgesamt dreijährige Umstellung des Härtereiprozesses in Gange. In einer neuen Härterei werde man statt mit Gas mit Strom arbeiten, der bei GKN dank Wasserkraft zu 100% grün ist. „Damit reduziert sich unsere CO2 Bilanz erheblich“, sagt Golser. „Für die weitere Reduzierung von CO2 müssen große Unternehmen jedoch noch viel mehr auf Nachhaltigkeit setzen — sei es beim Kauf neuer energieeffizienterer Maschinen als auch bei der Auswahl der Lieferanten und der Effizienz der Logistikprozesse, um den Transportweg gering zu halten.“

Vorreiter für andere Sektoren

Beim Schwesternbetrieb GKN Sinter Metals arbeitet man eng mit den Kunden zusammen und hat schon früh Strategien entwickelt, wie das eigene Business in Zukunft CO2-neutral gestaltet werden kann. „Der erste Schritt dazu war, zu bewerten, wo wir stehen und wie wir uns als GKN in Zukunft vorstellen, CO2-neutrale Produkte herzustellen“, erklärt der Verantwortliche für Global Manager Manufacturing Engineering and Sustainability Projects Markus Preuß. „Somit haben wir eine Roadmap entwickelt, die fünf maßgebliche Säulen beinhaltet: Weitere Investitionen in die Digitalisierung unserer Prozesse, Ressourceneffizienz und einen nachhaltigen Einkauf, die Integration von Mitarbeitenden, soziale Event-Partnerschaften und zu guter Letzt Innovation und Entwicklung von CO2- neutralen Produkten.“ Begleitet auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit wird man bei GKN auch von externen Partnern wie der TU München oder der Freien Universität Bozen — von Life Cycle Assessments über Workshops bis hin zur Mitarbeiterbindung für neue Ideen zu Energieeffizienz und Dekarbonisierung. Darüber hinaus investiere GKN in die einzelnen Standorte, um diese nach und nach mit Photovoltaik-Systemen auszustatten und Fertigungsprozesse durch Neuerungen energetischer zu betreiben.

Kurzum: Die Forschung im Bereich der nachhaltigen Fertigung am neuen Sitz des NOI Techpark in Bruneck wird auf hohem Niveau starten — mit einem breiten Pool an Erfahrungen und Know-how der Betriebe vor Ort, der durch das neue gemeinsame Projekt weiter wächst. „Durch die Zusammenarbeit schaffen wir einerseits eine Plattform, um uns über generelle Maßnahmen zur Energieeinsparung und -optimierung auszutauschen, und entwickeln andererseits gemeinsam Systeme, die dann auch von anderen Sektoren übernommen werden können“, resümiert Projektleiter Wolfgang Knollseisen.

South Tyrolean automotive companies as pioneers in CO2 footprint.

With a feasibility study, the members of the Automotive Excellence South Tyrol network are setting out to develop a standardized real-time monitoring of the CO2 footprint using digitization, sensors and IoT solutions. This is another step in the effort to increase the sustainability of operations around the new headquarters of the NOI Techpark in Bruneck, which opens its doors in May 2023.

How much carbon dioxide do companies generate with their production processes and products? This is a question that companies facing international competition in particular are having to address with increasing urgency. This is also the case for the most important supplier companies in the automotive industry located in South Tyrol, which have joined forces in the Automotive Excellence Südtirol (AES) innovation network. “One of the most important sustainability issues for customers today is the carbon footprint,” says Wolfgang Knollseisen, CFO of Alupress. The Brixen-based company, a specialist in the field of ready-to-install die-cast aluminum components, is leading a project with which the innovation network has set itself an ambitious goal: to develop innovative methods and approaches for collecting, calculating and presenting CO2 emissions from products within the network according to a uniform standard. And to do so as simply and with as little effort as possible, but clearly in compliance with all international norms and standards.

From estimated to effective footprint
“The field of recording and quantifying the carbon footprint of products or manufacturing processes per se is not new. Both methods and tools for so-called life cycle assessments, or LCA for short, have been available for some time,” explains Erwin Rauch, who will be one of the scientific minds at unibz in the new NOI Techpark in Bruneck with his endowed professorship in the field of smart and sustainable production. However, these are still insufficiently widespread and are currently not being applied across the board in companies. AES members also feel a strong sense of responsibility for decarbonization in South Tyrol, as well as increasing pressure on producers and suppliers in the automotive sector and increasingly stringent legislation regarding the disclosure of CO2 emissions.

“Here the focus is on the one hand on measures to reduce the CCF (company carbon footprint) and on the other hand on determining the PCF (product carbon footprint). In this area, all the companies in our Group have already taken initial steps, but none has yet established a real system. So we decided to launch this project to work together on the issue,” explains Knollseisen.

As a first step, the companies want to develop a standard that can be used to specify the CO2 footprint of products “cradle to gate,” i.e., from the extraction of raw materials to the provision of the finished product at the factory gate, as part of bid submissions. “By working together with the other South Tyrolean automotive suppliers, we can share our experience here in terms of customer requirements and in terms of system selection and system limits and arrive at a common standard,” says Alupress CFO Knollseisen.

But this is not the end of the story. Once the bid has been submitted and the order has been received, the second step is to compare the effective footprint of the product with the value calculated in advance. In the future, this should be done, if possible, by means of live tracking, i.e. the continuous recording of the relevant data and observation of the development of the PCF over time.

Scientific support from unibz and Fraunhofer Italia
Scientific support will be provided not only by the Free University of Bolzano, but also by Fraunhofer Italia. “As a specialist in applied research, Fraunhofer will be a strong partner in this project — in translating scientific findings into practical applications, but also in developing solutions for specific aspects of the project that require a tailored and creative approach,” Fraunhofer Italia researcher Davide Don holds out the prospect. Digital and IoT solutions also play a central role, however. “Europe generally has great potential here to combine its current excellent starting position in terms of digitalization and Industry 4.0 technologies with the issues of environmental sustainability to achieve a global competitive advantage,” says Prof. Erwin Rauch. This research project is all the more important, he adds. “Currently, it is still very laborious and requires a great deal of manual work to compile the necessary data for calculating the carbon footprint of a product and then also to compile it in a systematic and methodologically correct manner.

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The network Automotive Excellence Südtirol is an Open Innovation Hub for Sustainable Transformation in the sector mobility, automotive and beyond.