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Beziehungsstatus Wissenschaft und Demokratie: Es ist kompliziert


Warum Bürgerpanels das Klima nicht retten, sie der Demokratie aber neuen Schwung verleihen könnten. Und was die Regionalkonferenz damit zu tun hat.

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Zu wenig, zu langsam, zu zaghaft. Geht es um den Klimaschutz, gerät die Demokratie an ihre Grenzen. Einige finden sogar: sie versagt. Braucht es nun weniger oder mehr Demokratie beim Klimaschutz? Mit dieser Frage beschäftigten sich die Aarauer Demokratietage. Spoiler: Niemand wünschte sich weniger Demokratie.

Kurzfristige Kosten vs. langfristiger Nutzen

Vorläufige Ergebnisse einer Umfrage aus Belgien zeigen: Ein Drittel der Befragten findet, wir können den Klimawandel mit unserer Demokratie nicht bewältigen. «Die Klimakrise verstärkt gleichzeitig den Bedarf an demokratischer Legitimität, aber auch die Schwierigkeit, sie zu erzeugen», erklärte Hannah Werner in Aarau. Sie ist Assistenzprofessorin am Zentrum für Demokratie Aarau, das die Demokratietage organisierte. Ein grosses Problem: Die kurzfristigen Kosten sind für jedermann ersichtlich und scheinen enorm hoch. Der langfristige Nutzen ist für viele Menschen aber nur schwer zu erkennen. Das macht es für die Politik sehr schwierig.

 

Assistenzprofessorin Hannah Werner zum Clinch, in dem sich die Demokratie in der Klimafrage befindet.

Braucht es also eine Depolitisierung?

Gemäss Hannah Werner wäre es demokratisch nicht legitim, wenn allein die Wissenschaft entscheidet. Die Versuchung ist gross: Der Klimawandel ist eine der grössten Herausforderungen unserer Zeit. Und genau diese Zeit rennt uns davon, wir kriegen das Problem mit globalem Ausmass nicht in den Griff – internationalen Bemühungen, Vereinbarungen und Verträgen zum Trotz.

Die Wissenschaft weiss durchaus Rat. Es gibt viele Lösungsansätze und Empfehlungen, wie wir die globale Erwärmung eindämmen könnten. Diese bringen jedoch gesellschaftliche Konflikte mit sich. Verbote, Einschränkungen, gar eine Diktatur der Wissenschaft? Vorbehalte und Ängste sind vorprogrammiert. Freiheit und Mitbestimmung sind wichtige Werte der Demokratie. Wir sind es uns gewohnt und stolz darauf, dass wir nicht nur mitreden, sondern auch mitbestimmen können.

Entziehen wir das Dossier Klimawandel komplett dem politischen Parkett, wäre der Weg frei für ebendiese Diktatur der Wissenschaft. Manch einer mag einwenden: Das wäre in diesem konkreten Fall wohl die beste Lösung. Aber was, wenn nicht? Wie würde sichergestellt, dass auf die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kein Druck ausgeübt wird? Wer würde das überprüfen? Und überhaupt: Kann man Lösungen, die gesellschaftlich nicht akzeptiert werden, als Lösung bezeichnen?

Zusammenspiel Wissenschaft und Demokratie kann funktionieren

In der Covid-19-Pandemie, einer anderen globalen Krise, wurde der Wissenschaft auch nicht grenzenlose Macht übertragen. Die wissenschaftliche Task Force des Bundes hatte lediglich beratenden Charakter. Entscheide fällen durfte sie nicht.

Der Schluss liegt nahe, dass es halt doch ein Zusammenspiel zwischen der Wissenschaft und demokratischen Strukturen braucht. Vorgelebt wird das im Zürcher Unterland: Die Regionalkonferenz Nördlich Lägern vertritt die Region, in der das geologische Tiefenlager gebaut werden soll. Wohl basiert die Suche nach dem besten Standort für das Tiefenlager auf rein wissenschaftlichen Kriterien. Es soll nämlich dort gebaut werden, wo sich der Untergrund am besten eignet, denn die Sicherheit steht an erster Stelle. Diese Sicherheit misst sich an wissenschaftlichen Kriterien.

Die Regionalkonferenz hat einen entscheidenden Einfluss darauf, wie das Projekt in der Region und auch darüber hinaus angesehen wird. Und sie hat Einfluss auf das Projekt selbst: Ideen aus der Regionalkonferenz machen das Projekt besser. Die Gemeinden sollen nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Beim Standort der Oberflächenanlage oder bei der regionalen Entwicklung der Region gestaltet die Regionalkonferenz mit.

Entscheidend hier: Es gibt einen politischen und damit demokratisch legitimierten Prozess hinter dem Ganzen. Ob das Tiefenlager nämlich wirklich in Nördlich Lägern gebaut wird, das entscheidet am Ende die Politik. Und im Falle eines Referendums das Schweizer Stimmvolk.

Bürgerpanels retten das Klima nicht

Mit dem Stimmvolk sind wir an einem anderen Punkt angelangt: Die beiden Wissenschaftler Rikki Dean und Andri Heimann sprachen an den Demokratietagen über sogenannte Klimabürgerräte, auch Bürgerpanels genannt. Seit 2021 schiessen diese in ganz Europa wie Pilze aus dem Boden. Sind diese die Lösung?

Politikwissenschaftler Dean kommt zu einem klaren Verdikt: «Die Bürgerpanels sind kein Allheilmittel.» Der Grund: Sie hätten kaum einen Einfluss auf die tatsächliche Entscheidungsfindung, auf die Politik. Das wäre demokratisch auch schwer zu rechtfertigen: Eine kleine, zufällig zusammengewürfelte Gruppe trifft Entscheidungen von grosser Tragweite komplett autonom? Wo wären die Grenzen der Entscheidungskompetenz?

Am besten funktioniert hätten Bürgerpanels zu einfachen Fragen, denen direkt eine Abstimmung folgte, so Dean. Fragestellungen wie ‘Wie erreichen wir Netto-Null?’ seien hingegen viel zu kompliziert für ein Bürgerpanel, das sich nur einige Male trifft.

Andri Heimann vom Zentrum für Demokratie Aarau stellte seine Forschungsarbeiten zu den Schweizer Bürgerpanels vor. Bild: Cornelius Fischer Fotografie

Vorreiterin Regionalkonferenz?

Andri Heimann forscht zu Bürgerpanels in der Schweiz. Das erste davon in Sion im Jahr 2019 habe «definitiv einen Stein ins Rollen gebracht». Mittlerweile gibt es rund 15, die meisten beschäftigen sich mit Themen rund um Energie und den Klimawandel. Was diese Panels wirklich bewirken, muss sich noch zeigen.

Jemand aus dem Publikum regte in der Fragerunde an, dass der Austausch in solchen Panels auch über die Landesgrenzen hinaus geschehen müsse. Schliesslich machen die Ökosysteme nicht an den Grenzen halt. Womit wir wieder bei der Regionalkonferenz Nördlich Lägern sind, die man auch als «Tiefenlager-Bürgerrat» bezeichnen könnte. Sie beschäftigt sich seit mehr als elf Jahren mit dem geplanten Tiefenlager – sie tut das länderübergreifend.

Die Regionalkonferenz als Vorreiterin für neue demokratische Prozesse – warum nicht? Schliesslich wurden die drei Regionalkonferenzen lange vor dem ersten Bürgerpanel ins Leben gerufen.

 

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