Digitale Inklusion: Videokonferenzen barrierefrei gestalten

Videokonferenzen haben durch die Pandemie enorm an Bedeutung gewonnen. Doch längst nicht alle Menschen können problemlos an ihnen teilnehmen. Wir sprechen mit Alexander Pfingstl von der Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik darüber, wie eine Teilhabe für alle gelingen kann.

Barrierefrei am PC: Nur mit den passenden Hilfsmitteln

Lieber Alexander, bist du selbst schon während einer Konferenz auf eine Barriere gestoßen, die dir die Teilhabe erschwert hat?

Bei Cisco Webex Meetings ist das bei mir regelmäßig so. Ich bin blind und arbeite dementsprechend nicht mit der Maus. Per Tastatur ist die Bedienbarkeit des Chats jedoch nur sehr eingeschränkt möglich. Von gängigen Screenreadern werden die Nachrichten zudem nicht vollständig ausgelesen. Ich kann also weder gut lesen, was ich schreibe, noch die Texte der anderen Teilnehmer:innen vollständig erfassen. Und so wie mir geht es sicherlich vielen Menschen, die diese Einschränkung haben. Deswegen möchte ich alle Menschen dazu ermutigen, sich mit dem Thema auseinander zu setzen. Sonst wird ein großer Personenkreis aus der Gesellschaft ausgegrenzt. Und gerade jetzt in Zeiten der Pandemie sehen wir, wie wichtig der gesellschaftliche Zusammenhalt ist.

Alexander Pfingstl arbeitet bei der Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik (bfit-bund) zum Schwerpunkt Software. Er ist blind und hat daher einen starken persönlichen Bezug zum Thema digitale Barrierefreiheit.

Inwieweit hat Corona die Aufmerksamkeit auf die Barrierefreiheit von Online-Kommunikationstools gelenkt?

Das Thema ist erst durch Corona so richtig publik geworden und in den Fokus geraten. Die Systeme werden viel genutzt, die Umsatzsteigerungen und Userzuwächse der großen Firmen sind enorm. Daran wird sich in absehbarer Zeit auch nichts ändern, denn noch immer arbeiten viele Menschen im Home Office. Auch die Fallzahlen werden sich in
den kommenden Monaten weiterhin dynamisch entwickeln. Und viele Menschen haben sich an die Nutzung der Videokonferenztools gewöhnt. Für Menschen mit Einschränkungen ergeben sich daraus Chancen, aber es werden auch Barrieren sichtbar, die abgebaut werden müssen. Wobei es nicht so ist, dass sich vor dem Beginn der Pandemie in Sachen Barrierefreiheit nichts bewegt hätte. Microsoft hat schon lange eine Inklusionsstrategie, auch Zoom und Google hatten das Thema vor Pandemiebeginn auf der Agenda. Aber die Pandemie hat sicherlich nochmal den Druck erhöht und positiv auf die Entwicklungen eingewirkt.

Worauf sollte ich bei der Planung eines Online-Events achten und wie thematisiere ich Bedarfe im Anmeldeprozess?

Bei Einladungen zu Online-Meetings oder digitalen Events sollten die Organisierenden vorher abfragen, ob Menschen mit Beeinträchtigung teilnehmen oder jemand spezielle Unterstützung benötigt – sowohl im Vorfeld als auch während der Veranstaltung. Es hilft immer, wenn man mit den Betroffenen spricht und fragt, wie man sie optimal unterstützen kann. Auch das Anmeldeformular sollte möglichst barrierefrei sein. Das lässt sich im Zweifelsfall auch mit Hilfe einer Agentur für Webdesign mit Expertise in der Barrierefreiheit überprüfen. Die Agentur kontrolliert das Formular mit Blick auf die Richtlinien für barrierefreie Webinhalte.

Auch Privatpersonen können ohne großen Aufwand sicherstellen, dass ihre Dokumente barrierefrei sind. Im Microsoft Office gibt es im Menüpunkt „Überprüfen“ den Punkt „Barrierefreiheit“. Da werden viele Dinge angemerkt, beispielsweise Grafiken, die nicht beschriftet sind. Was das Programm nicht erkennt, sind nicht vorhandene Überschriften, wenn man also beispielsweise den Text nur Fett macht, aber nicht als Überschrift formatiert. Das ist ein häufiger Fehler. Was auch ganz wichtig ist: Falls Interaktionselemente und Medien eingeplant sind, sollte das
direkt kommuniziert werden. Power-Point-Präsentationen und andere Unterlagen kann man gegebenenfalls den Leuten vorab zuschicken. Alternativ müssen die Referenten während ihres Vortrags detailliert erläutern, was auf der Folie oder in dem Dokument steht. Ansonsten können blinde oder sehbehinderte Menschen dem Vortrag nicht folgen.

Auf welche Kriterien sollte ich bei der Auswahl eines Videokonferenztools achten?

Es gibt leider aktuell kein Tool, das für alle Beeinträchtigungen gleich gut ist. Das kann sich in den kommenden Monaten natürlich ändern. Alle Hersteller arbeiten gerade sehr intensiv an diesen Systemen und entwickeln sie weiter. Wenn Menschen mit Beeinträchtigungen teilnehmen, sollte ich schauen, ob mein Tool diese Menschen optimal unterstützt und im Zweifelsfall das Tool wechseln oder Alternativen anbieten.

Bei Videokonferenzen heißt es oft: „Schreibt mir eure Fragen im Chat.“ Hier kann man beispielsweise alternativ anbieten: „Schickt mir eure Fragen vorab per E-Mail, wir binden sie dann in den Chat mit ein.“ Das ist dann zwar auch nicht ideal, aber immer noch besser als nichts. Für Firmen gilt ab 2025 das Barrierefreiheit-Stärkungs-Gesetz. Aber auch das schließt nur bestimmte Dienstleistungen und Produkte ein, noch längst nicht alles.

Welche Barrieren können für Teilnehmende im Verlauf von Videokonferenzen auftreten?

Menschen mit Beeinträchtigungen sind darauf angewiesen, dass Online Meeting-Plattformen zugänglich, zuverlässig und gut nutzbar sind. Das ist aber nicht immer der Fall. Es gibt Barrieren, die durch das Tool kommen. Und die, die durch das Meeting selber kommen, also durch die Art, wie man das Meeting abhält. Bei den Tools ist beispielsweise die Tastaturbedienbarkeit sehr verschieden. Das ist für alle Menschen, die nicht oder nur schlecht sehen, oder aber temporäre Einschränkungen wie beispielsweise einen Tennisarm haben, ein wichtiges Tool, weil sie keine Maus benutzen können.

Das Thema Kontraste ist für sehbehinderte Menschen ebenfalls wichtig. Kann man den Text gut erkennen? Kann man die Schrift gut lesen? Kann man die ordentlich vergrößern? Für gehörlose und schwerhörige Menschen ist es wichtig, dass sich Videos fixieren lassen, Gebärdensprachdolmetscher:innen eingebunden werden oder eine Live-Untertitelung stattfindet. Die automatisch generierten Untertitel haben aktuell noch ihre Tücken. Sie machen zu viele Fehler und erkennen oft den Kontext nicht.

Tools wie Whiteboards sind generell nicht barrierefrei. Natürlich heißt das nicht, dass man sie nicht benutzen kann oder sollte. Es geht darum, die Menschen, die eine Beeinträchtigung haben, in das Meeting oder den Workshop optimal zu integrieren, damit sie ebenso mitarbeiten können wie andere auch. Auf das Whiteboard bezogen heißt das, dass die Inhalte immer wieder verbalisiert werden müssen, damit alle Menschen wissen, was da eigentlich drauf steht und worüber gerade gesprochen wird. Darüber müssen sich die Menschen, die das Online-Event organisieren, Gedanken machen und je nach Situation schauen, welche alternativen Wege sie anbieten können.

Wo liegen die Herausforderungen für Menschen mit kognitiven Einschränkungen?

Wenn wir auf kognitiv eingeschränkte Menschen blicken, ist das Feld nochmal weiter. Es gibt Menschen, die haben Konzentrationsstörungen, können sich nicht länger als eine halbe Stunde auf ein Thema fokussieren. Dann gibt es Menschen mit Lernschwächen oder Lernbehinderungen. Auf alle Bedürfnisse einzugehen, ist sicherlich eine
Herausforderung, weil die Einschränkungen so vielfältig sind. Aber das ist ein Prozess, den die Gesellschaft im Sinne der digitalen Teilhabe lernen muss.

Wichtig ist es, den Menschen die Teilnahme so leicht wie möglich zu machen, beispielsweise indem sie sich auch per Telefon in die Konferenz einwählen können. Auch ein Probedurchlauf vor der eigentlichen Videokonferenz kann Barrieren abbauen. So ein Testmeeting haben wir bei uns auch schon gemacht, weil wir in unserer Arbeitsgruppe ebenfalls zwei Menschen mit kognitiven Einschränkungen haben. Das hat gut geklappt.

Welche Verbesserungen wünschst du dir für die Zukunft?

Schön wäre es, wenn digitale Barrierefreiheit kein Extrathema mehr wäre, es nicht mehr immer extra herausgestellt werden müsste. Wenn es für Leute, die darüber entscheiden, wie bestimmte Formate oder Produkte gestaltet werden, ein normales Kriterium wäre. Und wenn nicht jeder nur von sich selbst und der eigenen Nutzergruppe ausgehen
würde, sondern alle im Blick behält. Dafür muss das Bewusstsein gestärkt werden, dass es nicht nur mich gibt und nicht alle Menschen so sind wie ich. Dass es Leute gibt, die durch eine Einschränkung Dinge anders wahrnehmen, anders benutzen oder mit anderen Menschen anders interagieren. Am Ende profitieren von barrierefreien Online-
Events im Netz nicht nur Menschen mit Einschränkungen, sondern alle Teilnehmenden.

Glühbirne

Checkliste für barrierefreie Videokonferenzen

Im Vorfeld

  • Barrierefreie Anmeldeformulare versenden
  • Individuelle Bedarfe von Referent:innen und Teilnehmenden abfragen
  • frühzeitig Gebärdensprachdolmetscher:innen buchen
  • Live-Untertitelung der Videokonferenz gewährleisten
  • Videokonferenzanleitungen in Leichter Sprache formulieren
  • Barrierefreie Dokumente und Präsentationen im Vorfeld an den Teilnehmerkreis schicken
  • Tool-Funktionen checken (z.B. Tastaturbedienbarkeit, Videofixierung) und ggf. das Videokonferenztool wechseln
  • telefonische Einwahl in die Videokonferenz ermöglichen
  • ggf. Testmeeting durchführen

Während der Veranstaltung

  • Technischen Support anbieten
  • Mikrophone und Headsets nutzen
  • ausreichend Pausenzeiten einplanen
  • Kamerabild möglichst gut ausleuchten
  • in Präsentationen mit Kontrasten arbeiten
  • Grafiken, Diagramme und Bilder verbal erläutern
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