Als der heutige 92-jährige Otto Schenk noch ein Schulbub war, war für ihn kristallklar, wo das Paradies zu finden ist: zwischen Konzerthaus und Stadtpark. Dort, am Rande des ersten Wiener Bezirks, ist der Eislaufplatz des Wiener Eislaufvereins, kurz WEV, versteckt. In jungen Jahren war dieser Platz für den späteren Schauspieler und Regisseur ein besonderer Ort. "Das wurde mein Paradies, Schulschwänzparadies", sagt Schenk. "Jede Religionsstunde und jede Freistunde wurde auf dem Eislaufplatz verbracht."

Der Schauspieler und Regisseur Otto Schenk schwänzte einst auf dem Platz des Eislaufvereins Schule – und ist heute dessen Ehrenpräsident.
Foto: Wiener Eislaufverein

Erzählungen und Anekdoten wie diese veröffentlicht der WEV dieser Tage auf Social Media. Anlass ist sein 155-Jahr-Jubiläum, das am Samstag zelebriert wird. Die Feierlichkeiten beginnen um 15 Uhr mit einem Programm für Kinder, geplant ist etwa ein Kostüm-Corso. Um 18 Uhr geht es für das erwachsene Publikum los: Geladen sind etwa die Eiskunstlauflegenden Trixi Schuba und die Singer-Songwriterin Virginia Ernst.

Start der Neugestaltung ungewiss

Zum Jubiläum hat sich WEV-Präsident Thomas Meixner eines fest vorgenommen: "Wir trachten danach, mindestens noch 155 Jahre zu bestehen", sagt er dem STANDARD. Wie der bauliche Rahmen dafür aussehen wird, ist allerdings ungewiss. Für den Standort am Heumarkt, wo sowohl Breiten- als auch Leistungssport stattfinden, werden seit Jahren Umbaupläne gewälzt. Immo-Investor Michael Tojner will – in Abstimmung mit der Stadt Wien – bekanntlich das Hotel Intercontinental abreißen und das angrenzende Areal bis zum Konzerthaus samt Eislaufplatz neu bebauen und umgestalten.

Heute misst die Eislaufläche des WEV 6.000 Quadratmeter. Am Samstag wird dort das 155-Jahr-Jubiläum mit einem Karneval auf dem Eis gefeiert.
Foto: Regine Hendrich

Das Problem dabei: Die Unesco sah durch die ursprünglich geplante Gebäudehöhe von 66 Metern den Charakter des historischen Zentrums gefährdet und setze Wien deshalb auf die Liste der bedrohten Welterbestätten. Zur Besänftigung der Unesco wurde in der Folge mehrmals umgeplant. Der aktuelle Entwurf ohne Turm harrt noch einer Bewertung durch die Welterbehüter. Eine entscheidende Sitzung, die vergangenen Sommer im russischen Kasan hätte stattfinden sollen, wurde wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine abgesagt. Gebaut wurde bisher nicht – und es bleibt unklar, wann es so weit sein könnte.

Ziel: Erster CO2-neutraler Eislaufverein

Der Eislaufverein hat jedenfalls eine Bestandsgarantie auf dem Heumarkt-Areal. Laut ursprünglichem Zeitplan hätte er bereits in der Saison 2020/21 in ein Ausweichquartier am Schwarzenbergplatz übersiedeln sollen – um zwei Jahre später zurückzukehren. Die Ungewissheit ist für den WEV eine gewisse Herausforderung. Zwar investiere man schon noch in den bestehenden Eislaufplatz, sagt Präsident Meixner. Angesichts des Damoklesschwerts Umzug tue aber jeder ausgegebene Euro "doppelt weh".

Der Turm, der auf den Renderings des Heumarkt-Areals zu sehen ist, wurde mittlerweile abgesagt. Eine Visualisierung der neuen Entwürfe gibt es (noch) nicht. Der WEV hat eine Bestandsgarantie.
Foto: Isay Weinfeld&Sebastian Murr

Dennoch geht der WEV nun ein neues Projekt an: Er versucht, an einem Standort die Energiewende zu schaffen. "Es gibt schon konkrete Termine und Besprechungen, dass wir auf Photovoltaik umstellen", erzählt Meixner. Derzeit würde Strom aus erneuerbaren Quellen am Heumarkt noch keine Rolle spielen. Aber: "Unser Ziel ist es, der erste CO2-neutrale Eislaufverein zu werden."

Zeiten der Energieknappheit hat der WEV in seiner 155-jährigen Geschichte bereits durchgemacht: Während des Ersten Weltkriegs konnte die Eislauffläche wegen Strommangels nicht betrieben werden.

Der Eislaufplatz des WEV im Jahr 1930: In dieser Saison verzeichnete er 9.521 Mitglieder – den Höchststand in der Vereinsgeschichte.
Foto: Eislaufverein

Gegründet worden war der Verein einige Jahre davor: 1867. Die Eislauffläche befand sich damals noch auf dem Gelände des heutigen Bahnhofs Wien-Mitte. Im Jahr 1901 übersiedelte der Verein auf den Heumarkt.

Die "urwienerische Form" des Eistanzens

Dort entwickelte sich ein neuer Stil des Eiskunstlaufens, die sogenannte Wiener Schule. Bis heute pflegt der WEV das Rundtanzen – die "urwienerischen Form" des Eistanzens, wie der Verein auf seiner Website erklärt. Dabei werden als Paar oder in Gruppen Walzer, Marsch und Polka auf dem Eis getanzt. Auch hier mischt die Unesco mit: 2018 erklärte sie das Rundtanzen zum immateriellen Kulturerbe Österreichs.

Das Eislaufen erlebte in Wien laut WEV nach dem Ersten Weltkrieg einen starken Boom: In der Saison 1929/30 verzeichnete er 9.521 Mitglieder – den Höchststand in der Vereinsgeschichte. Die Eisfläche wurde von 4.000 auf 11.000 Quadratmeter erweitert, aktuell sind es noch 6.000 Quadratmeter. "Eislaufen wird nicht aus der Mode kommen", ist Präsident Meixner überzeugt. Denn: "Die Ausübung ist leicht herzustellen. Wir sind mitten in der Stadt und im Vergleich zu anderen Sportarten günstig."

Beachvolleyball auf dem Eislaufplatz

Der sogenannte Anschluss 1938 bescherte dem WEV die Eingliederung in den Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen, jüdische Mitglieder und Funktionäre wurden ausgeschlossen. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann auch für den WEV der Wiederaufbau. In den 60er-Jahren wurden sportliche Erfolge gefeiert – und ein neues Betätigungsfeld entdeckt: der Sommer.

Stemmen statt gleiten: Im Sommer 2021 wurde auf dem Gelände des Eislaufvereins ein Outdoor-Gym aufgebaut.
Foto: Urban

Der WEV begann, in den warmen Monaten, wenn die Eisfläche abgebaut ist, mehrere Ring- und Boxkämpfe auszurichten. Insbesondere das "Catchen am Heumarkt" zog die Massen an. In der jüngeren Vergangenheit diente das Areal im Sommer unter anderem als Outdoor-Fitnessstudio, Gastro-Location und Austragungsort für die Beachvolleyball-EM.

Eine weitere Tradition hat sich ebenso gehalten: Dass auch heute noch Jugendliche lieber eislaufen gehen anstatt in die Schule, kann sich Vereinspräsident Meixner "durchaus vorstellen". (Stefanie Rachbauer, 18.2.2023)