Am 17. März 2021 gab es ein Hearing im Ausschuss für Petitionen und Bürger*inneninitiativen bei dem fünf Vertreter*innen unterschiedlicher Bürger*inneninitiativen eingeladen waren ein öffentliches Statement abzugeben. Unsere Parlamentarischen Bürger*inneninitiative „Die Ermöglichung der alternativen Leistungsbeurteilung ohne Noten im Rahmen der Schulautonomie“ war eine dieser fünf und so konnte Barbara Trautendorfer als Erstunterzeichnerin ein Statement abgeben. Da das Hearing nicht öffentlich und auch keine Aufnahmen erlaubt waren, veröffentlichen wir den Wortlaut des Statements hier.

Zunächst einmal möchte ich mich für die Einladung und fürs Gehört werden bedanken.

Mein Name ist Barbara Trautendorfer. Ich stehe hier als Erstunterzeichnerin der Bürgerinitiative gegen die verpflichtenden Ziffernnoten und für die Entscheidungsfreiheit über die Art der Leistungsbeurteilung an Schulen. Auch wenn ich alleine hier bin, stehe ich stellvertretend für rund 23.000 UnterzeichnerInnen vor Ihnen, die in mehreren Petitionen für das Ende des Notenzwangs unterschrieben haben. Ich engagiere mich dafür, weil ich als Mutter von Kindern an der wunderbaren „Integrativen Lernwerkstatt Brigittenau“ sehe, wie erfolgreiches Lernen funktionieren kann. Ich erlebe, was die Kinder motiviert, was sie freut und anspornt. Und das sind nicht Noten. Es sind Worte.

Die Integrative Lernwerkstatt Brigittenau ist eine öffentliche Ganztages- und Vorzeigeschule im 20. Wiener Gemeindebezirk und weit über die Gemeindegrenzen hinaus bekannt. Seit ihrer Gründung vor über 20 Jahren lernen hier Kinder von 6-15 Jahren mit einem reformpädagogischen, inklusiven Unterrichtskonzept und ohne Noten. Der Unterricht an der ILB sieht individuelle Förderung, projektorientierte Lernangebote, Sinnes- und Sozialschulung, kreatives handwerkliches Tun und Schüler*innen-Mitbestimmung vor. Eine tolle Schule, die Kinder lieben den Unterricht dort! Nicht, weil sie nichts tun müssen. Sie leisten sehr viel – genauso viel wie an anderen Schulen. Aber mit mehr Freude. Mit einer intrinsischen Motivation, wie es wissenschaftlich so schön heißt. Aus einem inneren Antrieb heraus. Nicht um gute Noten zu bekommen.

Doch wie an allen Schulen in ganz Österreich, die sich seit 2016 klassenautonom für eine alternative Leistungsbeurteilung entscheiden durften – und das waren damals schon mehr als zwei Drittel aller Volksschulen – müssen seit 2018 mit dem sogenannten Pädagogik-Paket der damaligen ÖVP-FPÖ Regierung, auch an der ILB Ziffernnoten vergeben werden.

Ein klarer pädagogischer Rückschritt. Denn pädagogisch wertvoll sind Ziffernnoten nicht. Und das wissen die Verantwortlichen sehr genau. Seit den 70er Jahren gibt es ausreichend Studien die belegen, dass es die viel beschworene Notenwahrheit nicht gibt. Eine 1 auf die Mathe-Schularbeit ist in einer anderen Schule in der Nachbargemeinde, bei einem anderen Lehrer, oder mit mehr MitschülerInnen die ebenfalls gut sind, eine vier. Selbst der gleiche Lehrer benotet die Arbeit mit zeitlichem Abstand anders. Die Leistung wird anders benotet, wenn sie von Mohammed oder von Katharina erbracht wird. Wenn Katharina schlank ist, bekommt sie bessere Noten als ihre dicke Freundin Emma und wenn die Eltern Rechtsanwälte sind, wird das Kind besser eingestuft als Kevin, dessen Eltern arbeitslos sind. Und was vielleicht genauso wichtig ist: es ist erwiesen, dass Noten nicht lernförderlich sind. Nicht einmal gute Noten wirken motivierend, weil dadurch erwiesenermaßen langfristig der innere Antrieb etwas lernen zu wollen und die Selbsteinschätzung verloren gehen. Irgendwann lernen alle nur noch für die Noten, verlieren aber aus den Augen, was ihnen Spaß macht und was sie vielleicht gerne über das Geforderte hinaus vertiefend lernen wollen. Und: Noten sind nicht aussagekräftig.
Weil die damaligen Regierungsverantwortlichen das natürlich wussten, wurde beschlossen, die verpflichtenden Noten durch eine verbale Leistungsrückmeldung zu ergänzen. Die Sache hat nur zwei Haken, die das ganze ad absurdum führen. Erstens: Wenn Noten so wenig aussagekräftig sind, dass man (zurecht) erkennt, dass das die alternative Leistungsbeurteilung besser kann, warum sind Noten dann überhaupt verpflichtend notwendig? Und zweitens: die pädagogisch wertvolle, motivierende und individuelle Leistungsrückmeldung wird durch Ziffernnoten untergraben. Denn Noten ziehen die gesamte Aufmerksamkeit auf sich. Die individuelle Rückmeldung: das hast du gut gemacht, hier musst du noch nachbessern, diese und jene Eigenschaft kannst du dir hier zunutze machen, dieses und jenes Verhalten führt dich nicht zum Ziel – das alles verblasst angesichts einer einzigen Zahl, die doch am Ende alles bestimmt.
Und deshalb stehe ich hier und bitte sie: Die individuelle Rückmeldung der Lernfortschritte unserer Kinder braucht keine Einordnung in fünf Schubladen und auch keine Textbausteine für eine verbale Rückmeldung. Jeder Mensch, jedes Schulkind ist individuell. Jedes hat unterschiedliche Bedürfnisse und hat auch individuelle Rückmeldungen verdient. Der Entwicklungsstand gleichaltriger Kinder ist unterschiedlich. Das ist die Regel und nicht die Ausnahme.

Das alles ist breiter Konsens in den Erziehungs- und Bildungswissenschaften und vielfach bewährte Unterrichtspraxis. Dementsprechend groß ist auch die Kritik der Bildungsexpert*innen an dieser neuen, alten Ziffernnotenpraxis sowie ihre Unterstützung für unsere Forderung.

Ich danke Ihnen noch einmal für die Einladung und bitte Sie diesen breiten Appell nicht zu übergehen. Nehmen Sie diesen, für so viele Schulkinder, Eltern und Lehrerinnen stressenden und frustrierenden Notenzwang wieder zurück. Machen sie eine gute, am Kindeswohl und an Schulautonomie orientierte Bildungspolitik. Lassen Sie Individualität auch an den Schulen zu! Die Schulkinder, die Eltern, die Lehrerinnen und Schulleiter*innen werden es Ihnen danken! Denn unsere Kinder werden in Zukunft viele Kompetenzen und ein Denken „out of he box“ benötigen, um die kommenden Herausforderungen zu bewältigen die wir ihnen hinterlassen! Wir werden uns jedenfalls weiter für eine Schule einsetzen, die dem 21. Jahrhundert gerecht wird und endlich mit verstaubten Pädagogikansätzen wie Ziffernnoten aufräumt. Vielen Dank.

Statement zum Ende des Notenzwangs am 17. März 2021, gehalten im Parlament vor den Abgeordneten des Ausschusses für Petitionen und Bürger*inneninitiativen.