Solarpaneele auf einem großen Flachdach.
Besonders die Zusatzgewinne aus EEG-geförderten Photovoltaik-Anlagen soll nach dem Willen der Koalition beitragen, die Strompreise zu senken. (Foto: Peter Arnold Wallantin/​Pxhere)

Mit 65 Milliarden Euro übertrifft das heute vorgestellte dritte Entlastungspaket der Ampel-Regierung die Summe aus den beiden vorangegangenen, rechnete Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) heute bei der Präsentation der neuen Koalitionsbeschlüsse vor.

Scholz zeigte sich zuversichtlich, dass Deutschland "durch den Winter kommen" wird. Die Gasspeicher seien besser gefüllt als erwartet und schon zum Jahresanfang würden erste LNG-Terminals einsatzbereit sein.

Ausführlich erläuterte Scholz geplante Eingriffe am Strommarkt, um die Preise zu senken. Auf diesem Markt gebe es nicht nur Probleme durch den Erdgasmangel, so der Kanzler, sondern auch durch Spekulation, Zufalls- und Übergewinne. Diese würden von Produzenten erzielt, die die "Situation einfach nutzen können, weil das sehr teure Erdgas den Strompreis bestimmt".

Die Regierung habe sich fest vorgenommen, die Strommarktordnung so zu ändern, dass Zufallsgewinne nicht mehr anfallen oder abgeschöpft werden, sagte Scholz. Dazu werde es eine Preisobergrenze für diejenigen Energieunternehmen am Strommarkt geben, die nicht die hohen Gaspreise zu bezahlen haben. Konkret nannte Scholz hier Wind- und Solarenergie, Biomasse und Kohle.

Die vielen Milliarden Euro, die dabei erlöst werden, wolle die Regierung dann einsetzen, um die Bürgerinnen und Bürger zu entlasten, sagte er. Den Haushalten soll die "Strompreisbremse" über eine verbilligte Basisversorgung zugutekommen. Im Beschlusspapier heißt es dazu: "Den Privathaushalten kann so eine gewisse Menge Strom zu einem vergünstigten Preis gutgeschrieben werden (Basisverbrauch)."

Lösungen zum Abschöpfen der Zusatzgewinne würden entweder schnell auf europäischer Ebene gefunden – Klimareporter° hatte das entsprechende "Non-Paper" veröffentlicht – oder, wenn es in Europa nicht so schnell gehe, durch eine nationale Regelung in Deutschland, betonte der Kanzler.

Scholz wie auch Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner nannten den vorgesehenen Umverteilungsmechanismus am heutigen Sonntag mehrfach eine "EEG-Umlage mit umgekehrtem Vorzeichen".

Hintergrund ist, dass zum Beispiel der Strom von Photovoltaikanlagen, die über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gefördert werden, von den Netzbetreibern wie vorgeschrieben an der Strombörse vermarktet wird und dort zurzeit ebenfalls Rekorderlöse erzielt.

Diese Mehreinnahmen aus dem EEG-Strom müssen die Netzbetreiber schon jetzt ans EEG-Konto abführen. Auf diese Weise hat sich das EEG-Konto bereits weiter gefüllt, derzeit liegt es im Plus mit nahezu 17 Milliarden Euro.

Lindner nannte keine genaue Summe, mit der sich die Regierung aus dem EEG-Konto bedienen will, sprach aber von einem zweistelligen Milliardenbetrag.

Neun-Euro-Ticket künftig für 49 Euro oder mehr

Weiter sieht das Paket vor, eine Nachfolgeregelung für das Neun-Euro-Ticket zu finden. Die Koalition geht dabei von einer Preisspanne zwischen 49 und 69 Euro aus. Sie ist bereit, den Ländern für ein bundesweites Nahverkehrsticket jährlich 1,5 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung zu stellen, wenn die Länder mindestens den gleichen Betrag beisteuern, heißt es im Beschlusspapier.

Fest steht dagegen bereits, dass die für Anfang 2023 gesetzlich vorgesehene Erhöhung des nationalen CO2-Preises von 30 auf 35 Euro je Tonne um ein Jahr auf 2024 verschoben wird. Auch die folgenden Erhöhungsschritte sollen entsprechend später stattfinden.

Dennoch sprach Grünen-Parteichef Omid Nouripour am Sonntag bei der Präsentation des Pakets davon, dass die Koalition auch beim Klimaschutz "Signifikantes" erreicht habe.

Nouripor begründete das mit zusätzlichen Mitteln für die Schiene, einer Klimakomponente bei der Neuregelung des Wohngeldes und dem Nachfolger des Neun-Euro-Tickets, das er "Deutschland-Ticket" nannte. Von diesem hoffe er, dass es für 49 Euro zu haben sein wird.

Als weitere Entlastungen beinhaltet das Paket, dass nun auch Rentner und Studenten einen direkten Energiekosten-Zuschuss von 300 beziehungsweise 200 Euro erhalten sollen. Außerdem ist eine große Wohngeldreform vorgesehen, die laut den Angaben die Zahl der Anspruchsberechtigten von derzeit 700.000 auf zwei Millionen erhöht.

Außerdem soll sich die Höhe sozialer Transfers nicht länger an vergangenen, sondern an künftigen Inflationsraten orientieren. Auch die sogenannte kalte Progression soll abgebaut werden.

"Katastrophales Signal für den Klimaschutz"

Klimaschützer und Ökonomen kritisieren das Paket scharf. Es mache "fossile Rückschritte" und gebe keine ausreichend gerechten Antworten, hieß es bei Fridays for Future. Eine der "besten Ideen" der Ampel, das Neun-Euro-Ticket, fünf- bis siebenmal teurer zu machen, zeige die Ambitionslosigkeit der Regierung.

Für Brigitte Knopf, Geschäftsführerin des Berliner Klimapolitik-Instituts MCC, ist das Paket ebenfalls ein schlechtes Signal für den Klimaschutz. Das Verschieben des nationalen CO2-Preises bringe beim Gaspreis nur eine Entlastung von 0,1 Cent je Kilowattstunde, untergrabe aber die klimapolitische Glaubwürdigkeit der Regierung, twitterte Knopf.

Die Begrenzung der Energiepreise wird nach Ansicht von Experten auch beim Strom nicht richtig funktionieren. "Die Strompreisbremse wird erst in vielen Monaten, wenn überhaupt, umgesetzt werden können", kritisierte Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.

Es gebe keinen Plan, auf welche Weise die Preisbremse an die Abschöpfung der Übergewinne gekoppelt werden soll, so der Ökonom. "Wenn diese Reform mit der üblichen Geschwindigkeit vonstattengeht, dann werden wir das Instrument erst in vielen Jahren haben."

Auch die langfristige Transformation fehle völlig im Entlastungspaket, sagte Fratzscher. Das Aufschieben der CO2-Preis-Anpassung sei "ein katastrophales Signal für den Klimaschutz".

Anzeige