Die fünf Bruchlinien zwischen Jung und Alt

Der Konflikt der Generationen drängt in viele Bereiche – von Pensionen und Pflege über den viel zitierten Brain Drain bis hin zu Wohnungsknappheit und Arbeitsmarkt. Eine Problemskizze von Elisabeth Gamperl und Lukas Sustala.

Elisabeth Gamperl
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Mehr ältere und weniger jüngere Menschen: Das Altern der Gesellschaft ist wie Nachhaltigkeit und Globalisierung eines der großen Themen des Jahrhunderts. Die Generationen stehen dabei im latenten Interessengegensatz, der keinen Lebens- und Politikbereich ausnimmt.

Ein immer schneller alternder Wohlfahrtsstaat verändert Lebensräume und Wohnbedürfnisse. Er muss sich ebenso dem Thema Pflege annehmen wie auch das Pensionssystem überdenken. Er verändert den Arbeitsmarkt; altersspezifische Dynamiken führen in den Betrieben zu neuen Strukturen. Und er bedeutet auch: Die soziale Stufenleiter wird rutschiger. Eine Skizze jener fünf Herausforderungen, die auf unsere Gesellschaft zukommen:

1. Pflege: Who cares?

Die Lebenserwartung steigt kontinuierlich. Ein Mädchen, das heute in Österreich geboren wird, hat gute Chancen, einmal 83 Jahre alt oder älter zu werden. Seit den 1970er Jahren stieg das Lebensalter laut Statistik Austria pro Jahrzehnt um zwei bis drei Jahre. Prognosen stehen dafür, dass die Lebenserwartung auch in den kommenden Jahren zunimmt. Aufgrund dieser Entwicklungen wird auch die Zahl der Hochaltrigen steigen. Derzeit gibt es rund 366.000 Menschen über 80 Jahre; 2050 werden es rund eine Million sein.

Zwar lebt der Mensch länger und die Gesundheitsstandards steigen, trotzdem ist die Biologie keine Freundin des Alters. Mit zunehmenden Lebensjahren häufen sich chronische Beschwerden und gesundheitliche Einschränkungen. Derzeit leiden rund 100.000 Österreicher an Alzheimer. 2050 steigt die Zahl laut österreichischer Alzheimergesellschaft auf 230.000 Erkrankte.

Pflege teilt die Gesellschaft. Die einen fragen sich: Wer pflegt mich? Die anderen wiederum: Wer kümmert sich um meine Mutter, meinen Vater?

Das österreichische Modell der Pflegevorsorge steht also vor enormen Herausforderungen und stellt ein zentrales Thema der österreichischen Sozialpolitik dar. Hierzulande unterstützt die öffentliche Hand, also Bund, Länder und Gemeinden, seit 1993 Pflegebedürftige durch Geld- und Sachleistungen. Wenn bei Personen ein ständiger Pflegebedarf von mehr als 65 Stunden im Monat nachgewiesen wird, gibt es einen gesetzlichen Anspruch auf Bundes- bzw. Landespflegegeld. Je nach notwendiger Intensität ist es in sieben Stufen eingeteilt – von 154,2 Euro in der ersten Stufe bis zu 1.688,9 Euro in der siebten Stufe.
Die Zahl der Pflegegeldbezieher stieg in den vergangenen Jahren auf rund eine halbe Million Menschen an.

Die Zahl der Pflegegeldbezieher steigt.

Die Zahl der Pflegegeldbezieher steigt.

Der Haken am Pflegesystem: Die Betreuungsformen der Bezieher sehen so aus, dass 29 Prozent im eigenen Haushalt leben und durch mobile Dienste unterstützt werden. 16 Prozent werden in Alten- und Pflegeheimen betreut und zwei Prozent werden in ihrem Haushalt rund um die Uhr unterstützt. Ein wesentlicher Anteil pflegebedürftiger Personen fällt aber gar nicht erst in die Pflegestufen und wird informell durch An- und Zugehörige – zumeist Frauen – gepflegt. 37 Prozent der Hauptbetreuungspersonen erleiden gesundheitliche Schäden und haben laut IG Pflege selbst ein erhöhtes Risiko, pflegebedürftig zu werden bzw. eine verringerte Lebenserwartung.

Darüber hinaus gibt es einen weiteren Brennpunkt: Wie viele Ausländerinnen in der informellen Pflege arbeiten, wird nicht erhoben. Viele von ihnen arbeiten beispielsweise in der 24-Stunden-Pflege, oft illegal oder als Selbstständige und ohne ordentliche sozialrechtliche Absicherung. Sie halten derzeit das System zusammen.

2. Wohnen: Der Raum wird knapp

Lebten 1950 noch 29 Prozent der Menschen in Städten, so sind es mittlerweile über 50 Prozent. 2050 werden laut einer aktuellen Prognose 70 Prozent der Weltbevölkerung Stadtbewohner sein. Auch in Österreich zentriert sich das Leben immer mehr im urbanen Raum.

Die eigene Wohnung ist individueller Lebensmittelpunkt. Doch mittlerweile wird vor allem für junge Städter das Eigenheim zur finanziellen Belastung. Junge Menschen können nicht so schnell von zu Hause ausziehen und finden schwieriger eine geeignete Wohnung.

Das ergibt für ältere Semester einen Vorteil: Sie zahlen durchschnittlich weniger Miete als Junge. Österreichische Einpersonenhaushalte mit über 60-Jährigen mussten 2013 im Schnitt 5,6 Euro Hauptmiete pro Quadratmeter zahlen. Unter 30-Jährige bezahlten hingegen durchschnittlich 7,8 Euro je Quadratmeter.

Das ist mitunter auch ein Grund, warum junge Erwachsene, vorwiegend Männer, immer länger bei ihren Eltern leben. Der Anteil der 27-Jährigen Nesthocker hat sich von 1971 bis 2011 auf rund 38 Prozent fast verdoppelt, bei den 36-Jährigen sind es fast dreimal so viele. In Zukunft kann sich der Auszug aus dem elterlichen Haushalt oft bis in das vierte Lebensjahrzehnt verschieben, prognostiziert das Österreichische Institut für Familienforschung. Je höher die Bildung, so die Studie „Ablösung vom Elternhaus“, umso eher bleiben die Jungen bei den Eltern. Neben der Wohnungsknappheit und der Tendenz, immer später Familien zu gründen, ist auch der Arbeitsmarkt ein Grund für den späten Auszug.

3. Arbeitsmarkt: Die Älteren haben Glück

Die Formel der Generation Y – der Jahrgänge 1977 bis 1998, die auch als Millennials zusammengefasst werden – ist schnell umrissen, wenn es nach Soziologen geht: Glück schlägt Geld. Statt auf der Karriereleiter soll der Sinn in Zufriedenheit, Lebensglück, Hobbys oder Familie gefunden werden.

Doch wenn es nach den Ökonomen geht, dann haben die Millennials leider Pech.
Denn das Glück hat die Generation der Boomers. Jene geburtenstarken Jahrgänge der Nachkriegsgeneration haben in mehrfacher Weise wirtschaftliche Fortune gehabt und daher mehr Spielraum zur Verwirklichung ihrer Ziele, legt eine Studie von Louis Chauvel und Martin Schröder nahe. Sie haben mit einem neuartigen Datenset gearbeitet und die Einkommenssituation für verschiedene Alterskohorten über die Zeit verfolgt und analysiert. Ihre Schlussfolgerung:

We showed that cohorts born between 1945 and 1955 are privileged in virtually all countries.

Warum waren die Babyboomer privilegiert? Sie waren in ihren ersten Jahren auf dem Arbeitsmarkt nicht mit einem akuten Arbeitsplatzmangel konfrontiert, Jugendarbeitslosigkeit war ebenso wenig ein Thema wie prekäre Beschäftigung, und daher haben sie auch regelmäßig in die Pensionsversicherung eingezahlt und hohe Ansprüche erworben. Damit sind die Nachkriegsgenerationen „lucky“, während Alterskohorten nach 1975 mit höherer Arbeitslosigkeit konfrontiert werden.

Entlang dieser Trennlinie verläuft, was Ökonomen den „dualen Arbeitsmarkt“ nennen. Eine hohe Wand an arbeitsrechtlichen Regelungen und konjunkturellen Aufstiegschancen hat sich zwischen „Insidern“ und „Outsidern“ aufgebaut. Die einen verfügen über bestehende, oft unbefristete Arbeitsverträge, verbriefte Ansprüche auf steigende Einkommen. Für sie gelten die ausverhandelten Kollektivverträge auf Punkt und Beistrich. Die Outsider sind überdurchschnittlich oft (schein-)selbstständig, mit befristeten Dienstverträgen und All-in-Klauseln konfrontiert.

Besonders stark ausgeprägt sind die generationellen Ungleichgewichte auf den Arbeitsmärkten in Südeuropa. Doch selbst in Österreich nimmt die Dichotomie zu. Ein Blick in die Einkommensstatistik zeigt bereits, dass die Realeinkommen junger Menschen zwischen 2004 und 2012 im Schnitt stärker gefallen sind als bei älteren Alterskohorten. Dazu kommt auch die in Österreich steigende Jugendarbeitslosigkeit. Sie war zuletzt mit 9,4 Prozent doppelt so hoch wie die allgemeine Arbeitslosenquote (nach internationaler Definition).

„Es ist wahrscheinlich, dass die heutige hohe Arbeitslosigkeit lebenslange Effekte auf Einkommen haben wird“, meint Pieter Vanhuysse, Leiter der Abteilung Research des European Centre for Social Welfare Policy and Research in Wien. „Scarring“ nennen das Ökonomen. Diese Vernarbung der Erwerbsbiografie durch Jugendarbeitslosigkeit führt zu geringeren Lebenseinkommen, größerer Gefahr der Arbeitslosigkeit und Gesundheitsproblemen. Damit wird der Einstieg in den Arbeitsmarkt zu einer Lotterie, die über die Höhe der Lebenseinkommen entscheidet.

4. Pensionen: Ein System unter Volllast

Dieser Tage feierte Deutschland das 125-jährige Bestehen seiner „Invaliditäts- und Altersversicherung“. 125 Jahre staatliche Pensionen bieten einen guten Anlass für eine Debatte um Zukunftsreformen. Eineinviertel Jahrhunderte nach der Gründung werden in Deutschland auch radikale Kurskorrekturen ins Feld geführt, der anerkannte und streitbare Ökonom Hans-Werner Sinn etwa fordert die Abschaffung eines gesetzlichen Pensionsantrittsalters.

So unwiderruflich sich die demografische Entwicklung auch darstellt, die Politik hat bis dato richtungslos reagiert. Sicher, auch der österreichische Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) sagt öffentlich, dass das durchschnittliche Pensionsantrittsalter wieder steigen muss, und sei es nur, weil ehemalige Invaliditätspensionisten künftig statistisch anders erfasst werden. Doch bei der großen Frage der Lastenverteilung zwischen Beitragszahlern und -empfängern tut sich wenig.

Die Entwicklung in Österreich seit 1970 ist eindrücklich und widersprüchlich. Im Schnitt ist das Pensionsantrittsalter in dieser Zeit gesunken, wenngleich die Lebenserwartung deutlich gestiegen ist. Im Mittel dürfen 65-jährige Menschen in Österreich (Durchschnitt aus Männern und Frauen) bereits hoffen, knapp 85 Jahre alt zu werden. 1970 waren es noch 78 Jahre.

Damit ist die durchschnittliche Zeit, die die durchschnittlichen Herren und Frauen Österreicher in der Pension verbringen, stark gestiegen. Hatten Pensionisten 1970 mit einer Ruhestandsdauer von 17 Jahren zu rechnen, waren es 2013 bereits über 26 Jahre.

Im Umlageverfahren geht es immer um Verteilung. Aktuelle Beitragszahler leisten zu wenige Zuweisungen in das System, höhere Pensionsleistungen bedeuten entweder höhere Beitragszahlungen oder Bezuschussungen aus dem allgemeinen Steuertopf. Letztere werden in den kommenden Jahren massiv steigen, erwarten die Experten der Pensionskommission. Jahr für Jahr nehmen die Zuwendungen für das Pensionssystem um 4,7 bis 6,7 Prozent bis 2019 zu, rechnen sie, deutlich schneller als die Wirtschaftsleistungen oder gar die Einkommen. Das ist wohlgemerkt der Zuschuss, der nicht mehr innerhalb des Umlageverfahrens gelöst werden kann. Vom beitragsfinanzierten Versicherungssystem, das einst Otto von Bismarck in Deutschland als Vorbild für andere Wohlfahrtsstaaten eingeführt hat, entfernt sich auch Österreich zusehends.

So muss man den Sozialminister wohl ernst nehmen, der im Sommer bei einem Gespräch mit Journalisten einen seltenen Einblick in die Gerechtigkeit von Österreichs Sozialstaat gewährt hat: „Die Generation der heute 70-Jährigen hat eine Pension, die ihre Kinder und Enkel nie mehr haben werden.“

5. Bildung: Die klugen Köpfe verschwinden

Die globale Wissenschaftslandschaft befindet sich derzeit in einem radikalen Umbruch, sie wird komplexer; wissenschaftliche, internationale Kooperationen gewinnen an Bedeutung.

Ein hohes Humankapital, also eine gut ausgebildete Bevölkerung, ist der Schlüssel für eine gute Entwicklung einer Volkswirtschaft. Langfristiges Wirtschaftswachstum und Bildungsniveau hängen zusammen – das sagen Ökonomen und Sozialwissenschafter bereits seit Jahrzehnten. Und hier hat Österreich ein Problem: den Brain Drain, den sprichwörtlichen Hirnschwund, der dem heimischen Forschungs- und Bildungsstandort zusetzt.

Österreich ist kein attraktiver Forschungsstandort. Das ging auch aus einer aktuellen WIFO-Studie hervor. Von elf ausgewählten Ländern befindet sich Österreich im unteren Mittelfeld, die USA sind besonders attraktiv. Vor allem die jungen Hochqualifizierten gehen.

Junge Österreicher zwischen 25 und 35 Jahren zieht es ins Ausland, also im typischen Uni-Abschlussalter beziehungsweise am Beginn der Karriereleiter. Seit Jahren übertrifft die Zahl der Abwanderer mit österreichischer Staatsbürgerschaft jene der Rückwanderer. Laut Statistik Austria sind in den vergangenen zehn Jahren durchschnittlich zwischen 20.000 und 25.000 Personen ausgewandert – und das am liebsten nach Deutschland, in die Schweiz, die Türkei, nach Nordamerika und nach Großbritannien. Zurück kommen jährlich nur 15.000 Menschen. Das ergibt schlussendlich einen Wanderungssaldo von 5.000 bis 10.000 Personen pro Jahr.

Nach Fachrichtungen beziehungsweise Ausbildungsfeld betrachtet, zieht es vor allem Personen mit naturwissenschaftlicher Ausbildung ins Ausland, gefolgt von Geisteswissenschafts- und Kunst-Absolventen. Kaum Abwanderungsgelüste hegen dagegen Landwirte und Pädagogen.

Auch die Anwerbung qualifizierter Personen aus dem Ausland via Rot-Weiß-Rot-Karte gelingt nicht. Die RWR-Karte war als neues Zuwanderungsmodell für Drittstaatenangehörige gedacht. 1.592 Personen sind mit Stand 2013 Besitzer einer solchen. Damit wurde das Ziel klar verfehlt: Man ging bei der Einführung 2011 von jährlich 8.000 Bewilligungen aus.

214 Karten wurden an Graduierte vergeben. Es gab aber 1.700 Studienabsolventen unter Drittstaaten-Angehörigen. Das bedeutet, dass die Anzahl der RWR-Karte-Inhaber relativ gering ist. Es verdeutlicht das österreichische Brain-Drain-Problem. Es werde zu wenig getan, um den Jungen attraktive Rückkehrmöglichkeiten zu bieten, das sagt auch Uni-Wien-Rektor Heinz Engl. Schließlich habe man vor allem in jungen Jahren zündende Ideen für Innovationen.