Gastkommentar

Bringt ein EU-Beitritt mehr Wirtschaftswachstum?

In der politischen Debatte werden positive Wachstumseffekte durch die Mitgliedschaft in der EU oft als selbstverständlich vorausgesetzt. Empirische Studien lassen hierzu aber keine eindeutigen Schlüsse zu.

Bruno S. Frey
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Wirkt die EU-Mitgliedschaft befruchtend für nationales Wachstum? (Bild: Steffen Schmidt / Keystone)

Wirkt die EU-Mitgliedschaft befruchtend für nationales Wachstum? (Bild: Steffen Schmidt / Keystone)

Die Europäische Union will mehr als nur ein Friedensprojekt sein. Vielmehr nimmt sie für sich in Anspruch, die wirtschaftliche Prosperität ihrer Mitgliedsländer nachhaltig zu fördern. Die politischen und administrativen Vertreter der EU verkünden diese Botschaft uneingeschränkt und mit viel Verve. Auch andere Organisationen wie die OECD und Regierungen einzelner Länder nehmen als selbstverständlich an, dass ein Beitritt zur EU das Wirtschaftswachstum steigere.

Diese Vorstellung ist mit der ökonomischen Theorie vereinbar, wonach offene Märkte und Freihandel die Wirtschaft beleben. Dabei geht es um die bessere Verwendung der Ressourcen, indem sich jedes Land auf die Herstellung jener Güter konzentriert, bei denen es Produktivitätsvorteile hat. Güter und Dienstleistungen, die ein Land besonders günstig produzieren kann, ermöglichen höheren Export; was im Ausland besser und billiger hergestellt werden kann, wird hingegen importiert. Durch den grösseren Warenaustausch mit dem Ausland erhöht sich zwar das Niveau des Sozialprodukts, allerdings nicht notwendigerweise auch dessen dauerhaftes prozentuales Wachstum. Freihandel schafft nicht immer beständige Zuwächse.

Unterschiedliche Ergebnisse

Die bisherige Forschung kommt zu unterschiedlichen Ergebnissen bezüglich der Behauptung, der Eintritt eines Landes in die EU führe tatsächlich zu einer Wachstumssteigerung. Eine Untersuchung für 17 OECD-Länder von 1950 bis 1990 stellt keinen statistisch signifikanten Effekt eines EU-Beitritts auf das Wachstum fest. Eine andere Studie für die Periode 1976 bis 1985 findet einen schwachen Hinweis, dass ein Beitritt zur EU oder zur Efta das Wirtschaftswachstum etwas gefördert hat. Eine weitere Untersuchung für 1950 bis 1990 untersucht die Wirkung der Erweiterung der EU von 6 auf 10 Mitglieder auf das Wachstum im Vergleich zu den USA und kann keinen Effekt feststellen. Um eindeutigere Ergebnisse zu erzielen, müsste kontrafaktisch ermittelt werden, wie neue Mitgliedsländer ohne EU-Beitritt gewachsen wären.

Eine neue, umfassende und sorgfältige Studie verwendet eine ingeniöse Methode, um das Wachstum von Ländern mit oder ohne Beitritt zur EU auf kontrafaktischer Basis vergleichen zu können. Sie ist soeben in der wissenschaftlichen Zeitschrift «Kyklos» erschienen. Die drei dänischen Autoren Barnebeck, Barslund und Vanhuysse konstruieren ein synthetisches Land, dessen Wirtschaft in jeder Hinsicht wie die des Eintrittslandes beschaffen ist. Dazu verwenden sie Daten von vergleichbaren Ländern. Will man zum Beispiel herausfinden, ob Bulgarien infolge des Eintritts in die EU schneller gewachsen ist, als dies ohne Beitritt der Fall gewesen wäre, wird mithilfe von Daten für vergleichbare Länder die Wirtschaft Bulgariens simuliert. Das tatsächliche Bulgarien mit EU-Eintritt kann nun kontrafaktisch mit diesem «künstlichen» Bulgarien ohne EU-Beitritt verglichen werden. Die Autoren kommen zum Schluss, dass sich keine Wachstumssteigerung nachweisen lässt: Das Sozialprodukt des synthetischen Bulgarien hätte sich ähnlich wie dasjenige des realen Bulgarien entwickelt.

Wie lässt sich dieses Ergebnis interpretieren? Dem Ergebnis folgend, hat der EU-Beitritt die für das Wachstum entscheidenden Faktoren nicht gestärkt und wachstumshemmende Einschränkungen nicht gelockert. Insbesondere gilt dies für die politisch-ökonomischen Institutionen. So besteht beispielsweise in Bulgarien (oder auch Rumänien) nach wie vor ein hohes Mass an Korruption, Misswirtschaft und Beschränkung des Wettbewerbs. Der Eintritt in den gemeinsamen Markt der EU konnte deshalb nur ungenügend fruchtbar gemacht werden.

Eine Behauptung allein genügt nicht

Selbstverständlich hat die Marktöffnung in der EU den Einwohnern manche wirtschaftliche Vorteile gebracht. Im Schengen-Raum entfallen die für Reisende lästigen Zollkontrollen, und der Euro erübrigt das vorherige Wechseln des Geldes in die vielen nationalen Währungen. Gleichzeitig aber behindert ein EU-Beitritt die wirtschaftliche Tätigkeit eines Mitgliedslandes, weil es sich allgemeinen Normen beugen muss und zur Finanzierung oft wenig sinnvoller Aktivitäten – wie etwa des Baus von Flughäfen, die nie in Betrieb genommen werden – herangezogen wird.

Das in der neuesten Studie erreichte Ergebnis, wonach ein EU-Beitritt in vielen Ländern nicht wachstumsfördernd ist, muss allerdings mit Vorsicht behandelt werden. Auch der kontrafaktische Ansatz beruht auf einigen Annahmen. Dennoch ist dies der weitaus beste bisher vorliegende Ansatz zur Erfassung des Wachstumseffekts eines EU-Beitritts. Wer postuliert, ein Beitritt zur EU bringe automatisch mehr Wirtschaftswachstum, muss dafür überzeugende neue Evidenz anführen. Eine blosse Behauptung genügt nicht mehr.

Bruno S. Frey ist ständiger Gastprofessor an der Universität Basel und Forschungsdirektor von Crema – Center for Research in Economics, Management and the Arts, Zürich.