Zum Inhalt springen

Geflüchtete im Mittelmeer Seenotretter werfen Scheuer Verhinderung von Einsätzen vor

Das Bundesverkehrsministerium hat Verordnungen für die Schifffahrt geändert und verlangt von Seenotrettern nun "Sicherheitszeugnisse". Drei betroffene Organisationen sehen dadurch akut ihre Arbeit gefährdet.
Das Rettungsschiff "Eleonore" von Mission Lifeline, das Italien inzwischen beschlagnahmt hat (Archivbild)

Das Rettungsschiff "Eleonore" von Mission Lifeline, das Italien inzwischen beschlagnahmt hat (Archivbild)

Foto:

Johannes Filous/ dpa

Die Corona-Pandemie hat die private Seenotrettung im Mittelmeer weitgehend zum Erliegen gebracht. Europäische Anrainerstaaten ließen Schiffe mit Geflüchteten an Bord nicht anlegen, in Italien wurden ein deutsches und ein spanisches Rettungsschiff festgesetzt - angeblich wegen Sicherheitsbedenken.

Doch auch das Bundesverkehrsministerium trage dazu bei, dass es derzeit keine Rettungseinsätze geben könne, kritisieren die drei deutschen Organisationen Mare Liberum, Mission Lifeline und Resqship. In einer gemeinsamen Mitteilung  werfen sie dem Haus von Minister Andreas Scheuer (CSU) vor, gezielt Vorschriften geändert zu haben, um ihre Schiffe am Auslaufen zu hindern.

Demnach sollen die Rettungsschiffe nun Sicherheitszeugnisse benötigen, weil sie nicht für "Sport- und Erholungszwecke" eingesetzt werden. Die Änderung trat im März dieses Jahres in Kraft, zuvor war in den Verordnungen von Ausnahmen für "Sport- und Freizeitzwecke" die Rede. "Nach neuer Rechtslage werden alle Schiffe, die für humanitäre Zwecke eingesetzt werden, hinsichtlich Bauweise, Ausrüstung und Besatzung der Schiffe mit Sicherheitsanforderungen konfrontiert, denen sie nicht ohne Weiteres nachkommen können", kritisieren die Rettungsorganisationen. Die Boote könnten nun nicht mehr auslaufen, es drohten zudem hohe Bußgelder.

Mission Lifeline rechnet mit Kosten zwischen 50.000 und 100.000 Euro

"Wir sind nach der Aufhebung der Corona-Beschränkungen in Griechenland bereit zum Auslaufen, werden daran jedoch vom deutschen Staat gehindert", sagte Hanno Bruchmann, Vorstandsmitglied von Mare Liberum, laut Mitteilung. "Ziel der neuen Verordnung ist schlicht, unsere Einsätze zu verhindern. Anscheinend sieht Andreas Scheuer lieber Menschen im Mittelmeer ertrinken, als dass sie Europa lebend erreichen." Die Änderung der Verordnungen sei "sofort zurückzunehmen", sagte Bruchmann weiter.

Auf SPIEGEL-Anfrage sagte Mission-Lifeline-Vorstand Axel Steier, man rechne bei den vorgeschriebenen Anpassungen des eigenen Schiffs mit Kosten zwischen 50.000 und 100.000 Euro. Nötig seien etwa größere Luken. Die Organisation hatte erst zum Jahreswechsel ein altes Torpedofangboot der Bundeswehr gekauft , weil die beiden vorherigen Schiffe beschlagnahmt worden waren. Nun soll ein Gutachter der Berufsgenossenschaft (BG) Verkehr das Boot erneut bewerten.

Mare Liberum hält die nötigen baulichen Änderungen sogar für gänzlich unmöglich: Bei dem Schiff der Organisation handle es sich um einen mehr als 100 Jahre alten umgebauten Fischkutter, sagte Vorstandsmitglied Bruchmann dem SPIEGEL.

Streit mit Vorgeschichte: Oberverwaltungsgericht gab Seenotrettern recht

Hintergrund der neuen Vorwürfe ist ein Rechtsstreit aus dem vergangenen Jahr: Die BG Verkehr, die im Auftrag des Ministeriums handelt, hatte im April 2019 eine Festhalteverfügung gegen Mare Liberum erlassen und diese damit begründet, dass der Schiffstyp ein Sicherheitszeugnis erfordere.

Die Rettungsorganisation ging dagegen juristisch vor und bekam vor dem Hamburger Verwaltungsgericht recht: Mare Liberum müsse kein Sicherheitszeugnis vorlegen, weil der Einsatz des Schiffes im Sinne der Sport- und Freizeitzwecke erfolge. Das Oberverwaltungsgericht der Hansestadt bestätigte das Urteil  und stellte zudem ausdrücklich fest, dass Tätigkeiten wie die Seenotrettung zu den "Freizeitzwecken" zählten.

Das Verkehrsministerium wollte sich damit aber offenbar nicht abfinden und änderte schließlich die Definition in den entsprechenden Verordnungen. Mare Liberum veröffentlichte am Dienstag ein Schreiben  der BG Verkehr von Anfang April, in dem explizit von "Seenotrettung inklusive Beobachtungsmissionen" die Rede ist. Schiffe, die in diesem Bereich eingesetzt werden, sollten "risikogerecht nach dem auch für die Berufsschifffahrt geltenden Recht behandelt werden", heißt es weiter.

Die Rettungsorganisationen kritisieren, dass es für die Verschärfung der Sicherheitsbestimmungen keinen Anlass gebe: Es habe seit Beginn der Missionen ziviler Schiffe im Sommer 2015 "nicht einen einzigen Unfall gegeben, der ein Crewmitglied an Leib oder Leben geschädigt hätte". Den Einsatz von Rettungsschiffen mit "überzogenen Sicherheitsanforderungen" zu verhindern, sei "zynisch gegenüber Flüchtenden, die sich in akuter Seenot befinden und auf Rettung hoffen". Zudem habe das Ministerium die Organisationen vor der Änderung nicht angehört.

Das Ressort von Andreas Scheuer teilte am Dienstagabend auf SPIEGEL-Anfrage mit, der Rechtsänderung lägen "ausschließlich schiffssicherheitsrechtliche Erwägungen zugrunde". Ehrenamtliche Helfer seien bei ihren Einsätzen vergleichbaren Gefahren ausgesetzt wie Berufsseeleute. "Die Änderung soll bewirken, dass die Schiffe der Helfer einen nach objektiven Kriterien entwickelten Sicherheitsstandard für die professionelle Seefahrt erfüllen". Damit komme Deutschland auch seinen "internationalen Verpflichtungen als Flaggenstaat" nach.

Schiffen, die die erforderlichen Zeugnisse vorweisen könnten, bleibe es unbenommen, unter der Bundesflagge zu operieren. Davon machten derzeit "auch andere Betreiber entsprechend genutzter Schiffe Gebrauch", hieß es aus dem Verkehrsministerium. "Die deutschen Behörden arbeiten vertrauensvoll mit diesen zusammen."

mes