Sterbende Uhrentradition Er rettet die Kuckucksuhr
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Lucas Rupprecht, Produktdesign-Student:
»Ich höre das Ticken schon gar nicht mehr. Mir fällt es aber sofort auf, wenn eine Uhr, die ticken sollte, es nicht tut, also wenn sie stehen geblieben ist. Denn dann habe ich ein Problem. Dann muss ich da nämlich noch mal ran.«
Sein Orchester schlägt im Sekundentakt. Seine Instrumente kennt er gut. Die Abläufe: eingespielt. Antike Uhren zu restaurieren, das ist die Leidenschaft von Lucas Rupprecht. Nur noch wenige Menschen in Deutschland beherrschen das traditionelle Handwerk so gut wie der 24-jährige Bremer.
Rupprecht studiert Produktdesign in Hannover. Seine Ferien verbringt er aber schon seit Jahren im Hochschwarzwald, einer Wiege der deutschen Uhrmachertradition.
Hier kann Lucas Rupprecht sein Hobby ganz ausleben: Im Hotel »Bad« in Eisenbach warten Dutzende Kuckucksuhren darauf, von ihm restauriert zu werden.
Hotelbetreiber Hubert Wursthorn kommt selbst aus einer Uhrmacher-Dynastie, sammelt antike Großuhren und veranstaltet jedes Jahr eine Uhrenbörse. Lucas Rupprecht ist hier Stammgast und gehört mittlerweile fast zur Familie.
Hubert Wursthorn, Bogensporthotel Bad:
»Er ist kein normaler Mensch. Es ist ein Phänomen. Für mich ist er ein Phänomen. Wir haben Tausende Uhrmacher, aber keinen, der sich so auskennt wie er. Er erhält diese Tradition im Schwarzwald. Viele andere sagen: Das geht nicht mehr, dann schmeißen wir es weg. Lucas sagt: Nein, nicht wegschmeißen, ich mache es euch und dann geht es wieder.«
Lucas Rupprecht, Produktdesign-Student:
»Das hier ist das Uhrwerk von dieser Kuckucksuhr hier mit einem sehr schönen neogotischen Schild. So 1860/1870 von Johann Baptist Beha, dem bekannten Eisenbacher Uhrmacher. Und leider läuft sie nicht. Das heißt, eine Komplettrevision ist unumgänglich.«
An über hundert Uhren habe er bereits gearbeitet, sagt Rupprecht.
Das handwerkliche Geschick und Interesse habe er von seinen Eltern bekommen: Die Mutter ist Technikerin, der Vater Ingenieur.
Die meisten Uhrmacher spezialisieren sich auf Armbanduhren. Die Leidenschaft von Lucas Rupprecht gilt aber den Großuhren.
Lucas Rupprecht, Produktdesign-Student:
»Eine Armbanduhr ändert an dem Raum nichts, aber eine laufende Großuhr, also eine Wanduhr zum Beispiel, verändert das komplette Raumklima hin zum Positiven, finde ich. Es bringt eine Ruhe, eine Gelassenheit quasi in den Raum. Ein geradezu uriges Gefühl – no pun intended. Und an der Kuckucksuhr im Speziellen finde ich es ganz witzig, dass sie eigentlich eine ziemlich tragische Geschichte hat, nämlich von der vom respektierten Uhrentyp zum Touristen-Ramsch. Es macht mich fast traurig.«
Vor etwa hundert Jahren kamen noch gut zwei Drittel aller weltweit produzierten Großuhren aus dem Schwarzwald. Schon früh setzte man hier auf Serienproduktion. Dadurch waren die Schwarzwalduhren relativ günstig und international bekannt. Ihr Wahrzeichen schon damals: die Kuckucksuhr.
Heute werden an den Touristen-Hotspots im Schwarzwald auch Plastikuhren mit elektrischem Uhrwerk verkauft. Für Rupprecht ist das nichts: keine Handwerkskunst, keine Qualität.
Aber was neu ist, muss nicht schlecht sein, meint Rupprecht: Er bezeichnet sich selbst als Fan moderner Technik.
Lucas Rupprecht, Produktdesign-Student:
»Ich nutze im Studium die besten Computerprogramme, also 3D-Konstruktion, Renderingprogramme, Zeichenprogramme. Das sind großartige Möglichkeiten, die sich uns da bieten. Aber man sollte halt nicht aus dem Auge verlieren, was geleistet werden kann ohne diese.«
Mit neun Jahren kaufte Lucas Rupprecht seine erste Uhr auf dem Flohmarkt. Zu Hause baute er sie auseinander – und wieder zusammen. Doch eine Ausbildung zum Uhrmacher wollte er nicht machen – das Hobby sollte Hobby bleiben. Stattdessen brachte er sich das Restaurieren selbst bei und schaute anderen Uhrmachern über die Schulter.
Mit 15 Jahren kam er das erste Mal nach Eisenbach – für die Uhrenbörse von Hubert Wursthorn.
Hubert Wursthorn, Gastwirt:
»Es rennt da so ein junger Kerl rum. Ich erinnere mich sehr gut: Er hatte damals schon wie so eine Art kleine Doktortasche, so eine Aluminium-Doktortasche. Alle haben nur gegrinst und huch, was macht denn der da? In dem kleinen Köfferchen drin, da waren seine Taschenlampe, seine Lupe, seine kleinen Schraubenzieher, seine Pinzetten und so weiter, wo er dann aufmachen und gucken konnte: Was ist das? Ist es interessant? Ist es original? Er hat dann auch die Schwarzwalduhren näher kennengelernt auf unserer Messe oben und was es da alles gibt. Er fühlte sich wie im Paradies.«
Lucas Rupprecht, Hobby-Restaurator:
»Das hier ist mein Urlaub, ich fahr sonst nirgendwo hin. Also ich könnte mich auch nicht einfach einen Tag vor die Glotze setzen oder aufs Sofa und nichts machen. Das bin ich einfach nicht.«
Wenn Rupprecht gerade keine Uhr in der Hand hat, dann gerne mal Pfeil und Bogen. Mit dem Sohn des Gastwirts geht er auf die hauseigene Bogenschießanlage des Hotels. Hier wird nicht nur auf ganz normale Zielscheiben geschossen, auch auf lebensgroße Gummitiere. Familientradition – genauso wie die Liebe zu den Schwarzwälder Uhren.
Lucas Rupprecht, Hobby-Restaurator:
»Die Uhren, das ist klar, werden uns alle überleben. Alle Trends sind zyklisch und ich bin fest davon überzeugt, dass die Uhren ihre Renaissance noch erleben werden. Dass es wieder ein steigendes Interesse geben wird und dass man sich um die Uhren wieder so reißen wird wie vor Dekaden.«
Am Abend ist Rupprechts Tagwerk fertig: Die Uhr tickt und der Kuckuck ruft wieder. Jetzt muss das antike Stück noch einige Tage testlaufen, um zu sehen, ob es auch einwandfrei funktioniert.
Lucas Rupprecht, Hobby-Restaurator:
»Das ist natürlich eine enorme Erfüllung, die dieses Hobby bietet. Und die, denke ich, von wenigen anderen eingeholt werden kann. Es ist schön zu wissen, dass man ein Stück Kulturgut erhalten konnte oder helfen konnte, es zu erhalten.«
Die Kultur der Schwarzwälder Uhren lebt weiter. Auch dank Lucas Rupprecht. Doch seine Arbeit in Eisenbach ist noch nicht zu Ende: Die nächsten Uhren warten schon auf ihn.
Lucas Rupprecht, Hobby-Restaurator:
»Ich bin aber jetzt schon sehr zufrieden mit dem ersten Ergebnis des Tests. Alles Weitere kann nur die Zeit zeigen.«