Das Coronavirus und internationale Handelsgeschäfte

Das Coronavirus bei internationalen Handelsgeschäften – (K)ein Fall Höherer Gewalt

Das Coronavirus hat mittlerweile weltweit zu weitreichenden Auswirkungen auf Gesundheit und Leben vieler Menschen geführt. Auch Politik und Wirtschaft ringen mit den Folgen, da beispielsweise die erforderlichen Quarantänemaßnahmen und Reisebeschränkungen Produktionsabläufe verlangsamen oder ganz unmöglich machen. Doch insbesondere bei internationalen Geschäften ist unklar, wer nun die Ausfallrisiken zu tragen hat. In diesem Zusammenhang wird oft von Höherer Gewalt gesprochen.
Doch was bedeutet Höhere Gewalt und welche rechtlichen Konsequenzen ergeben sich daraus für Ihr Vertragsverhältnis?

1. Rechtliche Einordnung des Begriffs Höhere Gewalt

Eine international einheitliche Definition des Begriffs der Höheren Gewalt (auch: „Force Majeure” oder „Acts of God”) gibt es nicht. Der Bundesgerichtshof versteht darunter ein “von außen kommendes, keinen betrieblichen Zusammenhang aufweisendes, auch durch äußerste vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis” (BGH, Urt. v. 16.05.2017, Az. X ZR 142/15). Die Rechtsordnungen der kontinentaleuropäischen Länder und der angelsächsisch geprägten Länder haben dabei ein ähnliches Verständnis des Begriffs – typischerweise als Höhere Gewalt gelten dabei Ereignisse wie Naturkatastrophen (Wirbelstürme, Erdbeben oder Überschwemmungen), Epidemien, Kriege und politische Unruhen. Ein starkes Indiz für das Vorliegen Höherer Gewalt sind dabei behördliche Maßnahmen und Warnungen.
Bei Vertragsstörungen in Verbindung mit dem Coronavirus kann man derzeit davon ausgehen, dass hier in vielen Fällen Höhere Gewalt vorliegt. Zum einen gibt es aktuell eine Vielzahl von behördlichen Maßnahmen (Behördliche Quarantäneverfügungen, Reisewarnungen, Grenzschließungen). Zum anderen wurde historisch auch im Zusammenhang mit der SARS-Epidemie 2003 oft Höhere Gewalt bejaht.
Für Geschäfte mit China sind die chinesischen Außenhandelskammern (CCPIT, China Council for the Promotion of International Trade) und chinesische Industrieverbände ermächtigt, sogenannte Force Majeure-Zertifikate auszustellen. Der CCPIT bietet hier eine Online-Plattform in chinesischer Sprache an, auf der Unternehmen unter Vorlage von Dokumenten (z. B. Mitteilungen von lokalen Regierungen, Bescheinigungen über Verzögerungen oder Ausfall von See-, Land- oder Luftverkehr, sowie relevante Verträge) eine solche Bestätigung beantragen können. Diese Möglichkeit besteht grundsätzlich nur für Firmen mit Sitz in China, also auch für Lieferanten und Niederlassungen deutscher Unternehmen in China, nicht aber für Unternehmen, die ihren Firmensitz außerhalb Chinas haben. Die chinesischen Force-Majeure-Zertifikate bilden in erster Linie eine Grundlage für Verhandlungen mit dem Kunden. Sie haben Indiz-Wirkung, begründen aber nicht von sich aus einen Fall Höherer Gewalt.

2. Blick in die vertragliche Vereinbarung

Maßgeblich zur rechtlichen Einstufung ist dann der direkte Blick in den Vertrag. Zum einen ist es viel einfacher, sich auf Höhere Gewalt zu berufen, wenn der Vertrag ausdrücklich ein solche Klausel enthält. Daher ist es immer ratsam in einen internationalen Vertrag eine solche Klausel aufzunehmen, in welcher die Parteien den Begriff der Höheren Gewalt genau bestimmen und regeln können. So können bestimmte, weitere Ereignisse wie Streiks als Höhere Gewalt eingeordnet werden. Es  kann aber auch geregelt werden, was nicht als Höhere Gewalt gelten soll, wie Stromausfälle. Zum anderen ergeben sich je nach Gestalt des Vertrages unterschiedliche Konsequenzen. Höhere Gewalt wird höchstwahrscheinlich viel eher bejaht, wenn die Erfüllung des Vertrages direkt mit einem Personaleinsatz verbunden ist, als wenn es beispielsweise nur um einen bloßen Warentransport per Containerschiff geht.
Eine Rolle spielt auch, ob der Vertrag eine Rechtswahlklausel enthält, welche für den Vertrag ausdrücklich auf die Rechtsordnung eines bestimmten Landes verweist. Dabei sind die angelsächsischen Rechtsordnungen generell etwas großzügiger in der Bejahung Höherer Gewalt als die kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen. Chinesische Gerichte haben in der Vergangenheit den Begriff Höhere Gewalt sehr großzügig interpretiert und mitunter sogar (teilweise selbstverschuldete) Zahlungsprobleme als Höhere Gewalt gesehen.
Gibt es keine Rechtswahlklausel, so regelt die sogenannte Rom-I-Verordnung das anwendbare Recht. Für Kaufverträge über bewegliche Sachen gilt dann das Recht des Staates, in dem der Verkäufer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Geht es um die Miete einer unbeweglichen Sache, zum Beispiel eines Büros im europäischen Ausland, gilt das Recht desjenigen Landes, in dem die unbewegliche Sache gelegen ist. Betrifft der Vertrag einen außereuropäischen Sachverhalt, so ist zur Ermittlung des anwendbaren Rechts eventuell eine etwas aufwändigere Prüfung im internationalen Zivilprozessrecht notwendig.
Von Bedeutung ist auch, zu welchem Zeitpunkt der Vertrag abgeschlossen wurde. Zumindest für jetzt noch abzuschließende Verträge ist eine Berufung auf Höhere Gewalt angesichts der sich seit Wochen ausbreitenden Epidemie und der Presseberichterstattung zweifelhaft.

3. Rechtsfolgen bei Bejahung Höherer Gewalt

Höhere Gewalt führt nicht automatisch zu Schadensersatzansprüchen, Aufwendungsersatz oder der Möglichkeit den Vertrag einseitig mit der Berufung auf Höhere Gewalt zu beenden.
Liegt ein Fall Höherer Gewalt vor, so werden in der Regel als Rechtsfolge die Parteien von ihren Hauptleistungspflichten befreit und jede Seite wird verpflichtet, etwaige schädlichen Wirkungen des Ereignisses jeweils selbst tragen. Zudem sind folgende Rechtsfolgen denkbar:
  • Der Vertrag wird im Falle Höherer Gewalt automatisch aufgelöst.
  • Vertragspflichten werden erst einmal ausgesetzt und nach dem Ende des außerordentlichen Ereignisses wieder eingesetzt.
  • Es gibt eine bestimmte Zeitspanne, innerhalb derer die Vertragspflichten ausgesetzt werden und wenn das Ereignis über eine bestimte Zeitspanne hinaus läuft, hat jede Partei ein Kündigungsrecht oder der Vertrag wird aufgelöst.

4. Praxistipps

Sowohl die rechtliche Einstufung als Höhere Gewalt als auch die möglichen Rechtsfolgen sind sehr vom Einzelfall abhängig und damit mit einiger Rechtsunsicherheit verbunden. Letztlich kann nur eine gerichtliche Entscheidung oder ein bereits gerichtlich entschiedener vergleichbarer Fall Klarheit bringen. Als Praxistipp empfehlen wir Ihnen deshalb, die Sache einvernehmlich mit Ihrem Geschäftspartner zu klären und dabei die rechtlichen Hinweise zu Höherer Gewalt als Argumentationsgrundlage zu verwenden. Für den Abschluss künftiger Verträge raten wir Ihnen zur Aufnahme einer speziellen Klausel zur Höheren Gewalt, die spezifiziert, wann Höhere Gewalt vorliegt und was die konkreten Rechtsfolgen sind. Zudem ist es ratsam, ausdrücklich zu vereinbaren, dass sich beide Vertragsparteien grundsätzlich zur Vertragserfüllung und zu eventuell notwendigen Vertragsanpassungen verpflichten, auch wenn kein Fall Höherer Gewalt vorliegt.
(Stand: August 2020)

5. Weiterführende Informationen

Wir haben für Sie weitere Informationsquellen zum Thema zusammengestellt: