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Tag der Lehre 2023: «Bereit für später – Hochschullehre für die Zukunft»

Hochschulen haben den Auftrag, Studierende optimal für die Zukunft vorzubereiten und zur Förderung der Schlüsselkompetenzen beizutragen, die die Welt von morgen von ihnen einfordern wird. Doch wie machen Hochschulen ihre Studierenden «fit für die Zukunft»? Der 11. Tag der Lehre der Universität Bern fokussierte auf die Frage, wie sich die Vermittlung der «Future Skills» auf die hochschuldidaktischen Konzepte auswirkt.

Von Claudia Kaufmann, 2023

Erneut ausgebucht: Der Tag der Lehre der Universität Bern ist fester Bestandteil des hochschuldidaktischen Jahreskalenders.

«Was wollen wir mit der Hochschullehre erreichen?» umriss Vizerektor Lehre Fritz Sager in seinem Begrüssungswort die Kernfrage, und berief sich zur Antwort auf die Strategie 2023 der Universität Bern: «Die Universität bereitet die Studierenden optimal für die Zukunft vor.» Doch was heisst das konkret?

Lernfähigkeit als «Superkompetenz der Zukunft»?

Wir befinden uns, so Ulf-Daniel Ehlers, Professor an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in seiner Keynote, auf dem Weg in eine «next society», eine neue Gesellschaft, die sich unter anderem durch Digitalisierung und steigende Automatisierung, also eine sich wandelnde Arbeitswelt mit sterbenden und neu entstehenden Tätigkeiten und Arbeitsfeldern auszeichnet. In volatilen Transformationszeiten nimmt der Wert von statischem Erfahrungswissen ab, jener von agiler Lernfähigkeit zu. «In Zeiten raschen Wandels können Erfahrungen dein schlimmster Feind sein», zitierte Fritz Sager eingangs Martin Luther. Ehlers formulierte es ähnlich: «Man kann Studierende nicht auf die Zukunft vorbereiten, indem man ihnen sichere Antworten auf sichere Fragen vermittelt.» Und er schloss draus: «Lernfähigkeit könnte zur Superkompetenz der Zukunft schlechthin werden.» Wie also muss die Universität der Zukunft ihre Lehre gestalten, um dem gerecht zu werden und aus Studierenden «Learning Professionals» zu machen?

Abwechslungsreich für die Zuhörenden: Konkrete Praxisbeispiele wechselten mit Inputreferaten ab.

«Masternarrativ der Zukunft» für die Hochschulbildung?

Die Antwort ist für Ehlers Herausforderung und Chance für die Hochschulen zugleich: Es gibt kein Richtig oder Falsch, kein allgemeingültiges «Masternarrativ der Zukunft» für die Hochschulbildung, ebenso wenig wie es einen Kanon von fest definierten «Future Skills» gibt. Vielmehr muss jede Hochschule für sich ihr didaktisches Narrativ, ihr individuelles Profil von zu vermittelnden Future Skills und dazu passenden Lehrmethoden erarbeiten – und dieses auch immer wieder hinterfragen.

Von einem ist Ehlers indes überzeugt: Es kann nicht darum gehen, die Wissensvermittlung zu beschneiden, um Platz zu schaffen im Curriculum für die Schlüsselkompetenzen der Zukunft. Letztere sind auch «kein blosses Add-on, dass donnerstags zwischen fünf und sechs Uhr noch an den Lehrplan angehängt werden kann». Vielmehr muss der Ansatz ein integrativer sein: Um Future Skills zu fördern, muss das Wissen didaktisch anders vermittelt, müssen neue Lehrmethoden entwickelt werden: «Wissen plus» nennt Ehlers diesen Ansatz, der nicht weniger, sondern eine andere Wissensvermittlung anstrebt.

Zu angeregten Diskussionen und Networking luden die Kaffeepausen und das feine Mittagessen ein.

Vier Praxisbeispiele für «Wissensvermittlung+»

Vier aktuelle Praxisbeispiele aus der Universität Bern gaben Einblick in vier unterschiedliche Lehrformate, die gemäss Ehlers integrativem Ansatz die Förderung von Schlüsselkompetenzen mit der Wissensvermittlung verbinden.

Corinna Rutschi und Tatjana Hödl bieten am Institut für Wirtschaftsinformatik ein eBusiness-Projektseminar an: In diesem sehr praxisnahen Lehrformat entwickeln die Studierenden eine technologiebezogene Geschäftsidee, die sie von der Konzeption über den Businessplan und ein Prototyping bis zur Pitchpräsentation vorantreiben. Fachleute aus Wissenschaft und Praxis vermitteln relevante Wissensinputs, hinterfragen die Geschäftsideen im Entwicklungsprozess wiederholt und fungieren zuletzt als Juror*innen im Pitch um den Preis für das Siegerprojekt. Dabei werden – untern anderem – Skills wie Reflexions- und Entscheidungskompetenz, Innovationskompetenz, Kreativität und Design Thinking, Sebstwirksamkeit und Kommmunikationsvermögen geschult.

Vom Krieg in der Ukraine überrascht, mussten Julia Richers vom Historischen Institut und Heino Meessen vom Centre for Development and Environment CDE das Konzept ihrer Fallstudie für eine nachhaltige Energienutzung in der West-Ukraine ad hoc neu ausrichten. Statt im ukrainischen Boryslav wurde das «Real World Lab» als weitgehend digitaler Austausch zwischen den schweizerischen und ukrainischen Partnern, mit konkreten Umsetzungsmassnahmen vor Ort, umgesetzt. Forschendes, transdisziplinäres Lernen, gemeinsames und gegenseitiges Lernen («Co-Creation of Knowledge»), Projektmanagement, interkulturelles Zusammenarbeiten zwischen Universitätsangehörigen, Behörden und NGO’s und die Kombination von Wissenschaft und Hands-on-Training («Doing Sustainability»), nahe an den Problemen der realen Welt, sind die praxisbezogenen Kompetenzen, die hier gefördert wurden.

Learning? By doing! Bei Laura Emunds am Institut für Studien zum Nahen Osten und zu muslimischen Gesellschaften lernen die Studierenden nach diesem Motto. Hier wird akademisches Arbeiten für Studierende erfahrbar gemacht, indem diese in Selbstlernphasen und Workshops eine Arbeit zu einem selbst gewählten Thema entwickeln; sich dann, begleitet von Peer Reviews, in einem Call for Papers für eine (fiktive) Konferenz bewerben und ihre Arbeit schliesslich an der Mock-Konferenz präsentieren. Über die verschiedenen Arbeitsphasen hinweg werden nacheinander Lern- und Digitalkompetenzen, Kommunikations- und Kooperationskompetenzen, Feedbackfähigkeit sowie Selbstkompetenz und Selbstwirksamkeit gestärkt.

Seraina Lerch vom Institut für Medizinische Lehre und Steffen Eychmüller vom Universitären Zentrum für Palliative Care möchten ihre Studierenden mit Selbsterfahrung zu mehr Verständnis für die Patient*innen, aber auch für sich selbst führen. 70% der jungen Ärzt*innen zeigen Burn-out-Symptome, 78% greifen stressbedingt zu Medikamenten. «Compassion Training» heisst das Lehrformat, mit welchem dieser belastungsbedingten Selbstausbrennung bei den angehenden Mediziner*innen vorgebeugt werden soll. Mitgefühl und Selbstmitgefühl sind die beiden Schlüsselkompetenzen, die dabei im Zentrum stehen: In praktischen Übungen schlüpfen die Studierenden in die Rolle von Patient*innen; in dieser reflektierten Selbsterfahrung lernen Sie, dem Gegenüber auf Augenhöhe und mit Empathie zu begegnen, aber zugleich auch dem Erhalt der eigenen Gesundheit das nötige Gewicht einzuräumen – anders, als das in der medizinischen Praxis noch weitgehend der Fall ist.

Verhindert «didaktische Aufbereitung» das Lernen?

Wenn Ulf-Daniel Ehlers in seinem Eingangsreferat die Lernfähigkeit als mögliche «Superkompetenz der Zukunft» beschrieb, so stellte Martin Lehner, Professor an der Fachhochschule Technikum Wien, in seinem Abschlussreferat eine diametral entgegengesetzte Tendenz an den Hochschulen fest: die Tendenz, Lernmöglichkeiten für Studierenden zu verringern – und schlug damit den Bogen zu möglichen Future Skills der Dozierenden. «Man muss sich mit einer Sache auseinandersetzen, um sie erfassen», so Lehner, «und das ist anstrengend, denn der Gegenstand der Auseinandersetzung kann mitunter schwer fassbar, ja widerspenstig sein». Die didaktische Antwort auf diese Anstrengung dürfen laut Lehner nicht Simplifikationen sein, die dem Lehrgegenstand nicht mehr gerecht werden. Denn, drastisch formuliert: «Solche`didaktische Aufbereitung´ verhindert Lernen.» Stattdessen verweist Lehner auf die Schlüsselkompetenz der didaktischen Vereinfachung, welche die Dozierenden angesichts der wachsenden Fülle und Komplexität des Wissens beherrschen müssen: Diese fokussiert mit Blick auf Lernziele, Lernzeit und Zielgruppe auf das Wesentliche, strebt «Gründlichkeit» (im Gegensatz zu «Vollständigkeit») an, und vermittelt den Kern einer Sache in reduzierter Form, ohne den komplexen Sachverhalt aus den Augen zu verlieren.

Die Hochschullehre der Zukunft entsteht in der Gegenwart

Ulf-Daniel Ehlers verwies in seinem Eingangsreferat auf den vielbeschworenen «Skill Gap» zwischen den definierten Lernzielen der Hochschulen und den künftigen Anforderungen von Arbeitsmarkt, Gesellschaft und Wissenschaft. Denn die Art wie wir heute an Hochschulen lehren, so Ehlers, ist das Ergebnis von Entscheidungen, die vor 10 bis 15 Jahren getroffen wurden. Das impliziert: Wie wir künftig lehren werden, ist das Ergebnis der Entscheidungen, die wir heute treffen. Und genau das macht eine hochschuldidaktische Diskussionsplattform wie den «Tag der Lehre» der Universität Bern so wichtig.

Einblick in einen der 8 Rahmenworkshops: Schminken für die Lehre - Moderne Moulage-Techniken im Medizinstudium

Das Rahmenprogramm

Der 11. Tag der Lehre wurde ergänzt von acht Workshops und einem Toolmarkt, in denen die Tagungsteilnehmenden nach der Mittagspause konkrete Einblicke in fachspezifische didaktische Methoden, Kompetenzen und Tools gewinnen konnten – die spannenden und schnell ausgebuchten thematischen Schlaglichter reichten von «schweinischen Videos – der virtuellen Realität in der Schweinemedizin» bis zum «Schminken für die Lehre: Moderne Moulage-Techniken im Medizinstudium».

Zur Veranstaltung

Der «Tag der Lehre» ist eine Kooperation von Hochschuldidaktik & Lehrentwicklung des ZUW und Vizerektorat Lehre. Er hat zum Ziel, die «gute Lehre» an der Universität Bern zu stärken, und wurde

erstmals im Jahr 2013 durchgeführt. Seither gehört der «Tag der Lehre» zum jährlichen Hochschuldidaktik-Programm und findet jeweils am letzten Freitag vor Beginn des Frühlingsemesters statt.
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Zur Autorin

Claudia Kaufmann ist Leiterin der Stabsstelle Kommunikation des Zentrums für universitäre Weiterbildung ZUW der Universität Bern.