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  3. Finanzkrise: Wie der Bankenkollaps vor zehn Jahren ausgelöst wurde

Geld Globaler Kollaps

Diese Anzeichen deuten auf eine neue Finanzkrise hin

Die Welt verschuldet sich in unglaublichem Ausmaß

Die weltweite Verschuldung erreicht neue Rekordstände. Spätestens wenn diese Kredite zurückgezahlt werden müssen, wird es problematisch.

Quelle: N24

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Die Pleite eines US-Hausfinanzierers vor genau zehn Jahren war der Auftakt zu einer der größten globalen Krisen. Und obwohl die Welt seitdem viel dazu gelernt hat, kommt die nächste bestimmt.

Im Januar 2007 hatte die Aktie noch stattliche 30 Dollar gekostet. Dann begann der Kurs zu zittern und schließlich zeigte die Linie lotrecht nach unten. Im März brachen schließlich alle Dämme. New Century Financial wurde vom Handel ausgesetzt. Am 2. April 2007 schließlich musste der zweitgrößte Spezial-Immobilienfinanzierer der USA Konkurs anmelden.

Vor der Nummer zwei der Branche hatten bereits einige kleinere Hypothekenfirmen aufgeben müssen, und auch die Bedeutung der Pleite von New Century blieb den allermeisten verborgen. Die Firma hatte sich auf die Finanzierung von Immobilienkäufern mit schlechter Bonität, sogenannte Subprime Loans, spezialisiert.

Einflussreiche Menschen wie US-Finanzminister Henry Paulson wurden nicht müde zu betonen, das Schlimmste sei bereits überstanden und der Rest eingedämmt oder eindämmbar. Nicht nur der frühere Goldman-Sachs-Manager sollte irren. Was kein Experte ahnte oder sagen wollte: Der Zusammenbruch vom 2. April 2007 war nicht nur ein Zeichen für die Schwierigkeiten in einem Nischensegment am amerikanischen Häusermarkt, sondern das böse Omen für eine Finanzkrise.

Anderthalb Jahre später, nach dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers, wurde klar: In der Finanzbranche war die größte Krise der Wirtschaftswelt seit den 30er-Jahren ausgebrochen. Begonnen hatte sie an jenem 2. April vor zehn Jahren. Und obwohl die Welt seither viel über Finanzsysteme und ihre Regulierung gelernt hat, könnte so ein brutaler Absturz wieder passieren.

Kleine Ereignisse, riesige Verwerfungen

Der Niedergang von New Century Financial offenbart das Tückische an Finanzkrisen. Kleine Ereignisse provozieren riesige Verwerfungen. Die Auslöser lassen sich erst mit einigem zeitlichen Abstand bestimmen. Im Nebel des Geschehens bleibt vieles im Unklaren. Die Geschichte der großen Krisen zeigt zudem, dass es oft vermeintliche Nichtigkeiten sind, die das bevorstehende Unheil ankündigen.

So wird es immer wieder sein; die nächste Finanzkrise kommt bestimmt. Historiker warnen daher vor Sorglosigkeit, welche die Entscheider in trügerischer Sicherheit wiegt. Aus dem vergangenen finanziellen Weltenbrand, so kritisieren sie, hätten Politik und Marktakteure wenig gelernt. Offenbar sind die Menschen dazu verdammt, die gleichen Fehler immer wieder zu machen. Erschwerend kommt hinzu, dass die nächste Krise meist aus einer ganz anderen, unerwarteten Richtung herrührt.

Hunderte Banker mussten ihren Arbeitsplatz im Zuge der Finanzkrise räumen. Hier ein Angesteller von Lehmann Brothers in New York
Hunderte Banker mussten ihren Arbeitsplatz im Zuge der Finanzkrise räumen. Hier ein Angesteller von Lehmann Brothers in New York
Quelle: REUTERS

„Niemand sollte so tun, als ob die Regulierung, die man seit 2008 auf beiden Seiten des Atlantik geschaffen hat, das Finanzsystem stabiler gemacht hätte“, sagt Niall Ferguson, Historiker an der US-Eliteuniversität Harvard der „Welt am Sonntag“. Im Gegenteil: Durch neue Gesetze und Verordnungen seien zwar Banken dazu angehalten worden, etwas stärkere Kapitalpuffer zu bilden. Allerdings hätte eine überbordende Regulierung die Komplexität im Finanzsystem deutlich erhöht. „Außerdem läuft vieles genauso weiter wie vorher, zum Beispiel die Ratingagenturen, die Derivatemärkte und die überzogene Verschuldung“, warnt Ferguson.

Schon minimale Verluste würden das Aus bedeuten

Banken, Ratingagenturen, Derivate – im Jahr 2007 war vielen noch nicht klar, wie all die Akteure und Finanzkonstruktionen miteinander verstrickt waren. Und welche selbstzerstörerische Dynamik das System in einem überraschenden Abschwung entfalten würde.

Als New Century im April 2007 Insolvenz anmeldete, hatte die Gesellschaft 1,4 Millionen Hypothekenkredite mit einem Gesamtvolumen von 225 Milliarden Dollar vergeben. In der Kasse standen dem Barmittel in Höhe von 60 Millionen Dollar entgegen, der Finanzierer operierte also mit einem rechnerischen Hebel von 3750. Schon minimale Verluste, die aus vermehrten Zahlungsausfällen resultieren können, würden das Aus der Gesellschaft besiegeln.

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Nur dass dieses Prinzip längst nicht auf New Century Financial beschränkt war. Der Idee des „Financial Engineerings“ folgend, hatten Experten nicht nur Immobilienfinanzierern, sondern auch Banken und Versicherungen eingeimpft, dass der Eigenkapitaleinsatz so niedrig wie möglich sein sollte. Schließlich galt es fast als Gesetz, dass die Immobilienpreise ewig steigen würden und alle Risiken berechen- und damit beherrschbar seien.

Die Risiken waren völlig unklar

Dazu kam, dass Teile der Forderungen zu Paketen verschnürt und weiterverkauft wurden. Diese Risikopakete waren am Kapitalmarkt gefragt. So waren alle großen Adressen der Wall Street und fast des ganzen westlichen Finanzsystems bis hin zu deutschen Landesbanken indirekt am Geschäft mit Immobilien beteiligt. Und das scheinbar beherrschbare Risiko des einen basierte darauf, dass die anderen ihr Risiko unter Kontrolle hatten.

Garantierten im Oktober 2008 die Einlagen deutscher Bankkunden: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD)
Garantierten im Oktober 2008 die Einlagen deutscher Bankkunden: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD)
Quelle: picture-alliance/ dpa

Nicht in dem System vorgesehen war, dass ein großer Spieler ausfallen könnte. Denn durch das Zuschneiden, Verpacken und Etikettieren war selten klar, wer welches Risiko in seinen Büchern hatte. Am Ende blickten nicht einmal mehr die Top-Manager der Finanzkonzerne durch, was sich hinter den sogenannten Verbriefungen verbarg.

Die Entscheider beruhigten sich und andere damit, dass die namhaften Ratingagenturen all diese Verbriefungen bewertet hatten. Hatten die Agenturen die Bestnote Dreifach-A verliehen, was nicht selten vorkam, konnten sich die Banken in Sicherheit wiegen.

Als das System in Schieflage geriet, kippten zunächst jene Institute, die direkt auf den Immobilienmarkt und die weiterveräußerten Immobilien gesetzt hatten. Dann zog die Krise Kreise. Als erste namhafte Bank erwischte es das Wall-Street-Haus Bear Stearns, das war im März 2008.

Probleme in Notenbanken-Bilanzen geschoben

Bereits im Juni 2007 waren zwei Bear-Stearns-Hedgefonds gestrauchelt, doch deren Minus konnte die traditionsreiche Bank gerade noch so wegstecken. Ein Dreivierteljahr später war die dünne Kapitaldecke aufgebraucht. Auf Drängen des US-Finanzministeriums und der Notenbank Federal Reserve (Fed) wurde eine schnelle Auffanglösung gebastelt. Bear Stearns kam bei der US-Großbank J.P. Morgan unter, einen Teil der Risiken übernahm die Fed. Im weiteren Verlauf der Krise würden noch viele andere Zentralbanken Risiken auf ihre Bücher nehmen, um das Finanzsystem vor dem Kollaps zu bewahren.

Der Hedgefonds-Anbieter Bear Stearns kam bei der US-Großbank J.P. Morgan unter
Der Hedgefonds-Anbieter Bear Stearns kam bei der US-Großbank J.P. Morgan unter
Quelle: Getty Images News/Getty Images

„Viele Probleme wurden einfach in die Bilanzen der Notenbanken geschoben“, sagt der ehemalige Chefvolkswirt von Merrill Lynch, David Rosenberg, der heute beim kanadischen Vermögensverwalter Gluskin Sheff arbeitet. „Die Crux ist, dass der Einsatz von Schulden auch eine Dekade später noch genauso hoch ist und damit das globale Wachstum beeinträchtigt.“

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Das gemeinsame Element ist damals wie heute die Abhängigkeit von Krediten. Was in den guten Zeiten die Gewinne steigerte, zehrte im Abschwung Eigenkapital und Risikopuffer in rasender Geschwindigkeit auf. Es wirkt wie ein Brandbeschleuniger.

Zwischen 2003 bis 2007 wurden in den USA mit Häusern besicherte Kredite im Ausmaß von sieben Billionen Dollar vergeben, das entsprach fast der Hälfte der damaligen amerikanischen Wirtschaftsleistung. Da erschienen die 225 Milliarden Dollar Subprime-Darlehen von New Century selbst Profis wie ein Randphänomen.

Enorme Probleme im internationalen Finanzgefüge

Doch immer sind es die scheinbaren Marginalien, die die Verletzlichkeit des Systems offenbaren. So war es auch in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre, als eine Meldung aus Thailand nicht die Aufmerksamkeit erhielt, die sie verdient hätte: Im Juli 1997 löste die Tiger-Ökonomie ihre Währung Baht aus der Bindung an den Dollar, um der ächzenden Wirtschaft Luft zu verschaffen. Es war ein fatales Signal. Der Deutsche Aktienindex Dax reagierte zunächst überhaupt nicht auf die Ereignisse im Fernen Osten. Vielmehr markierte das Börsenbarometer noch Ende Juli 1997 ein Rekordhoch.

Erst im Herbst begann den Akteuren klar zu werden, dass der scheinbare Befreiungsschlag Bangkoks von enormen Problemen im internationalen Finanzgefüge kündete. Thailand hatte sich in den Jahren zuvor in großem Stil in Dollar verschuldet, und nun, da der Baht zum Dollar massiv an Wert verlor, wurde die Schuldenlast untragbar.

Die Wirtschaft kollabierte unter der Last von schweren Dollar-Verbindlichkeiten. Bald würde der Abwärtssog auf andere Volkswirtschaften der Region übergreifen. Die Asienkrise war da. Sie stürzte Regierungen, vernichtete Hunderte Milliarden Dollar an Werten und warf die ganze Region ökonomisch um mindestens ein Jahrzehnt zurück.

Welt operiert auf der Grundlage gewaltiger Schulden

Als viele meinten, die Krise wäre überwunden, entfaltete sie sogar neue zerstörerische Wucht – über eine Kettenreaktion an den Märkten. Weil der Ölpreis von damals mehr als 20 auf zwölf Dollar je Barrel absackte, rutschte der Öl- und Gasexporteur Russland in den Bankrott. Es folgte der mächtigste Hedgefonds der Welt, Long Term Capital Management (LTCM). Damals erlitt der Dax fast aus heiterem Himmel den größten Absturz seiner Geschichte: um 37 Prozent ging es binnen drei Monaten nach unten.

Wieder waren Kredite der Treibsatz, wieder waren die Zeichen da, wieder wollte oder konnte sie niemand sehen. Kommt nach 1997 und 2007 nun etwa der Absturz 2017? Zwar lässt sich immer erst im Nachhinein sagen, welches kleine Ereignis das New Century unserer Tage ist. Doch Warnsignale gibt es auch heute.

Die Welt operiert auf der Grundlage gewaltiger Schulden. Mit Ausnahme von Deutschland und einigen wenigen anderen Staaten steigen die Verbindlichkeiten immer höher. Auch die Unternehmen haben die künstlich niedrigen Zinsen genutzt, um sich mit Krediten vollzusaugen und so die Gewinne auf den vergleichsweise kleinen eigenen Kapitaleinsatz kräftig zu steigern.

Autokredite so hoch wie noch nie

In Amerika gibt es längst neue Sollbruchstellen. Die US-Verbraucher haben in den vergangenen Jahren auf Pump eingekauft wie nie. Nachdem der Wert der Verbraucherkredite in der Rezession von 2008/09 kurzfristig gesunken war (von 2,6 auf 2,5 Billionen Dollar), haben sie gerade einen neuen Höchststand erreicht. Die Amerikaner sind mit 3,8 Billionen Dollar verschuldet, nur für den Konsum. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich Autokredite. Ihr Volumen ist mit 412 Milliarden Dollar so hoch wie noch nie.

Da passt es ins Bild, dass einer der wichtigsten Spieler auf diesem Gebiet, Capital One Financial, an der Börse mit knapp 90 Dollar pro Aktie wieder den Kurs von vor der letzten Krise erreicht hat. Im November 2008 erhielt der Finanzierer 3,6 Milliarden Dollar Rettungsgelder, nachdem sich der Aktienkurs fast gezehntelt hatte. Heute hat ein Drittel der ausgegebenen Kreditkarten- und Autokredite von Capital One ein ähnliches Bonitätsprofil wie die Subprime-Ausleihungen der Immobilienfinanzierer.

Ebenfalls voll auf Risiko setzen die Spekulanten an der Wall Street, wobei die Rubrik Spekulant in Amerika anders als in Deutschland auch viele Privatanleger umfasst. Allein Wall-Street-Broker haben für 528 Milliarden Dollar Aktien auf Pump gekauft, fast 200 Milliarden Dollar mehr als vor zehn Jahren. Damals erwies sich die sogenannte margin debt als verlässlicher Frühindikator für immenses Ungemach. Rund drei Monate bevor der Markt einbrach, begannen seinerzeit die Broker, ihre Kredite zu reduzieren.

Bilanzen der Banken sind eine ewige Baustelle

Warnzeichen gibt es aber auch in China. Die Regierung in Peking hat diese Woche eingeräumt, dass das Land mit 258 Prozent seiner Wirtschaftskraft verschuldet ist, Private, Staat und Firmen zusammen. Bei Ausbruch der Finanzkrise von 2008 lag die Quote bei 180 Prozent. Für viele ist das Reich der Mitte heute das, was der US-Immobilienmarkt bis zur Krise war, der große Wachstumstreiber, der mit seiner Dynamik so manches Problem übertüncht.

Schließlich ist da noch Europa mit seinen teils kapitalschwachen Banken. Ihre Bilanzen scheinen eine ewige Baustelle zu sein. Die jüngste Konjunkturerholung auf dem Kontinent hat diese Probleme zwar in den Hintergrund gedrängt, doch eines ist nach wie vor fraglich: Wie gut könnten die Institute unerwartete Verluste wirklich wegstecken?

Verwerfungen an den Anleihemärkten würden Löcher in die Bilanzen reißen. Ein Handelskrieg mit Amerika oder ein Wiederaufflammen der Euro-Krise sind weitere schwer kalkulierbare Gefahren. Doch dahinter liegen vielleicht noch ganz andere Risiken, die sich nicht auf den ersten Blick erschließen.

Selbst Starhistoriker Ferguson, der die Krisen der vergangenen 200 Jahre erforscht hat, traut sich kein Urteil zu, aus welcher Richtung der nächste Umsturz an den Märkten kommen wird. „Wenn ich wüsste, was diesmal das Frühwarnzeichen für die nächste Finanzkrise ist, wäre ich ein reicher Mann.“

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