Was Rafael Moreno antrieb, sich als Journalist in einer gefährlichen Region Kolumbiens immer wieder mit den Reichen und Mächtigen anzulegen, mit Banditen, korrupten Politikern, düsteren Geschäftsleuten?

"Ihn trieb die Liebe zu seinem Volk", sagt seine Freundin.

"Er hatte keine Angst vor dem Tod", sagt sein Cousin.

"Er war einfach besessen", sagt seine Schwester.

Der kleine, drahtige Mann Mitte 30, den man oft in Sonnenbrille und Basecap durch die Straßen seiner kleinen Stadt Puerto Libertador im Norden Kolumbiens streifen sah, wusste, welches Risiko er einging. Er recherchierte zu lokaler Korruption und Umweltverschmutzung. Seit Jahren bekam er Drohungen. Zwischenzeitlich bewachten ihn Personenschützer. "In Kolumbien", sagte er Anfang Oktober 2022, "haben sie die schlechte Angewohnheit, uns aus politischen Interessen zu erledigen."

Neun Tage später, am 16. Oktober 2022, einem Sonntag, traf ihn die Kugel eines Killers in den Kopf. Moreno ist damit einer von 86 Journalistinnen und Journalisten weltweit, die laut Unesco letztes Jahr getötet wurden. Und einer von vier in Kolumbien. 

Feinde hatte er viele. Wer den Mord in Auftrag gegeben hat, ist noch Gegenstand von Ermittlungen. Wer auch immer es war: Die Täter wollten Morenos Recherchen stoppen. 

"Ihr werdet mich nicht zum Schweigen bringen!"

ZEIT Online hat sie nun gemeinsam mit dem gemeinnützigen Journalistenkonsortium Forbidden Stories fortgeführt. 30 Journalistinnen und Journalisten weltweit haben sechs Monate lang Hunderte Dateien aus Morenos Nachlass ausgewertet und vor Ort recherchiert. 32 Medien veröffentlichen nun die Ergebnisse. Die Recherchen zeigen, dass ein korruptes Netzwerk aus Politikern, Firmen und bewaffneten Gruppen die Rechte der lokalen Bevölkerung systematisch missachtet. Und dass deutsche Firmen von einigen der Missstände vor Ort profitieren.

Das Konsortium folgt mit diesem Projekt Rafael Morenos Wunsch, der für die Pressefreiheit sein Leben ließ: "Wenn ihr mich töten wollt, tötet mich", rief er einige Monate vor seinem Tod in einem Video, das er auf Facebook hochlud. "Aber ich sage euch geradeheraus: Ihr werdet mich nicht zum Schweigen bringen!"

Rafael Moreno wurde im Jahr 1985 geboren und wuchs in Puerto Libertador auf, einer Kleinstadt in der Provinz Córdoba im Norden Kolumbiens: Wellblechdächer, Schotterpisten, Schlamm. In der Gegend kämpfen Paramilitärs und Guerillas um die Macht. Und um Bodenschätze: In der Provinz liegen mehrere Minen, darunter Cerro Matoso, die größte Nickelmine Lateinamerikas. Moreno schürfte als Jugendlicher in einer Goldmine, so erzählen es Freunde und Familienmitglieder. Er sammelte Kokablätter, absolvierte seinen Militärdienst.

Als er 20 Jahre alt war, begann er, sich politisch zu engagieren, für einen charismatischen Mann namens Espedito Duque, einen Lokalpolitiker mit großen Ambitionen. 

Duque, kantiger Körper, ovales Gesicht, Halbglatze, trat als Mann des Volkes auf, sprach von sozialer Gerechtigkeit, wollte den Armen helfen und die herrschende Familie ablösen, die seit Langem die Region kontrollierte. Moreno sah wohl in ihm einen Mann, der die Dinge wirklich anpackte, der Korruption bekämpfte und die Gewalt beenden wollte.  

"Wir haben alles für Duque gemacht", erinnerte sich Morenos jüngste Schwester Maira in einem Gespräch mit Forbidden Stories, kurz nach dem Tod ihres Bruders. "Rafael war seine rechte Hand, er war quasi sein Kommunikationschef." 

2015 schaffte es der Hoffnungsträger Duque ins Bürgermeisteramt. Moreno arbeitete weiter für ihn, errichtete Stromgeneratoren in entlegenen Gegenden. Doch bald, so erzählen es auch weitere Vertraute von Moreno, war er enttäuscht. Duque verzögerte die versprochenen Reformen. "Er ließ uns glauben, dass er die Dinge ändern würde, aber er umgab sich mit denselben Leuten, die wir so lange kritisiert hatten", schrieb Moreno später auf Facebook über sein angeblich korruptes Umfeld. Duque weist die Anschuldigungen auf Nachfrage von ZEIT ONLINE von sich. 

Moreno wechselte die Seiten, begann, gegen seinen ehemaligen Verbündeten Duque zu recherchieren. Im Dezember 2018 gründete er eine Onlinezeitung namens Voces de Córdoba, Stimmen aus Córdoba. Er etablierte sie nach und nach als wichtiges Medium der Region. Auf Facebook folgten ihm nach einigen Jahren 50 000 Menschen.